Theologie im Stammbuch: Johannes Bugenhagen
Am 2. Januar 1558, wenige Wochen vor seinem Tod, schrieb der aus Wollin/Pommern stammende Wittenberger Reformator Johannes Bugenhagen ein Zitat aus dem alttestamentlichen Buch Jesus Sirach in dieses Buch, das ihm der Besitzer des Bandes vorlegte, von dem nur die Initialen seines Namens im Einband („V.M.R.“) bekannt sind. Der Handschrift Bugenhagens ist die Last von Alter und Krankheit anzusehen. Er starb am 20. April 1558 in Wittenberg. Den Bucheintrag unterzeichnete er mit seinem Namen und dem Zusatz „Pomer[anus] D[octor]“, der auf seine Herkunft aus Pommern hinweist. Seit 1521 lebte er in Wittenberg, war seit 1523 Stadtpfarrer und Theologieprofessor und seit 1533 Superintendent. Der Eintrag lautet (Orthographie modernisiert):
„Jesus Syrach cap. IX.
‚Erlerne [erkenne] mit allem Fleiß deinen Nächsten. Und so du Rat bedarfst, so such’s bei weisen Leuten und besprich’ dich mit den Verständigen. Und richte alle Sache nach Gottes Wort. Geselle dich zu frommen Leuten und sei fröhlich, doch mit Gottesfurcht.‘ [Sirach 9, 21-23].
Lerne diese Lection wohl, sie hat viel bei sich.
Johannes Bugenhagen, Pomer[anus] D[octor]
Mdlviij. ij. Ianuarij.“
Von den Wittenberger Reformatoren wurde die alttestamentliche Spruchweisheit des Buches Jesus Sirach geschätzt. In der Vorrede zu diesem Buch in der Lutherbibel (1534) heißt es: „Es ist ein nützliches Buch für den gemeinen Mann. Denn auch all’ sein Fleiß ist, dass es einen Bürger oder Hausvater gottesfürchtig, fromm und klug mache, wie er sich gegen Gott, Gottes Wort, Priester, Eltern, Weib, Kinder, eigen Leib, Güter, Knechten, Nachbarn, Freunden, Feinden, Oberkeit und Jedermann halten soll, dass man’s wohl möcht nennen ein Buch ‚Von der Hauszucht‘ oder ‚Von Tugenden eines frommen Hausherrn‘, welches auch die rechte geistliche Zucht ist und heißen soll.“
Diesem Zweck diente zweifellos auch das Buch, in das Bugenhagen das Sirachzitat schrieb. Der Sammelband enthält Luthers Auslegung des Wortes „Also hat Gott die Welt geliebt“ (Joh 3, 16), den „Einfältigen Unterricht, wie man das Vaterunser beten soll“ von Veit Dietrich, zwei Schriften von Hieronymus Weller über das Leiden und die Auferstehung Jesu und eine lutherische Ars moriendi „Wie man sich christlich zu dem Sterben bereiten soll“ von Johannes Brenz. Die fünf Schriften sind in einem kostbaren Einband zusammengebunden, der vermutlich von Thomas Stelbogen in Leipzig gefertigt wurde. Den vorderen Einband ziert ein filigran gestaltetes Lutherporträt. Es zeigt den Reformator, wie er mit einer Feder ein Zitat aus dem Johannesevangelium in das Buch schreibt, das die biblisch-reformatorische Dialektik von Gesetz und Evangelium zusammenfasst: „LEX DATA EST PER MOISEN [G]RACIA PER CHRISTVM. 1556“ (Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade durch Jesus Christus. Johannes 1, 17). Als Inschrift unter dem Porträt wird ein Lutherwort zitiert, das Luthers Polemik gegen den Papst illustriert: „PESTIS ERAM VIVVS MORIENS ERO MORS TVA PAPA“ (Eine Pest war ich dir lebend, sterbend werde ich dein Tod sein, Papst“). Dieses oft zitierte Lutherwort findet sich in einem Bericht über Luthers schwere Erkrankung im Januar 1537 während eines Aufenthaltes in Schmalkalden. In Anwesenheit seiner Begleiter formulierte Luther damals „letzte Worte“, mit denen er die Wirkung seines Todes auf den Papst reflektierte: „Ich soll gesteinigt werden wie Stephanus und dem Papst hier eine Freude anrichten, aber ich hoffe, er wird nicht lange lachen. Mein Epitaphium [Grabinschrift] soll wahr bleiben: ‚Eine Pest war ich dir lebend, sterbend werde ich dein Tod sein, Papst!‘“ Diesen Gedanken hatte Luther schon früher wiederholt ausgesprochen. Gelegentlich findet sich das Lutherwort als Zitat unter Porträts von Luther – wie bei unserem Einband. Als Grabinschrift diente das Lutherwort am Ende zwar nicht, doch wurde es in Luthers Leichenpredigt von Bugenhagen (1546) zitiert.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Theol.ev.asc.965,S.J-K (zum Digitalisat)
Edition der Quelle: Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel/hrsg. von Otto Vogt. Stettin 1888, S. 576 (Nr. 300).
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.