Autograph der Woche Ausgabe 8 von 95 |

Bucheintrag von Philipp Melanchthon, 1558.

Theologie im Stammbuch: Melanchthon

Unter den Initialen „V.M.R.“ verbirgt sich der Name einer Person, die sich im Jahr 1557 fünf Erbauungsschriften von Martin Luther, Veit Dietrich, Hieronymus Weller und Johannes Brenz im handlichen Oktavformat in einen kostbaren Ledereinband mit Goldschnitt und Porträts von Luther und Melanchthon binden ließ. Absichtlich ließ der Besitzer des Buches vorn acht leere Blätter als Vorsatzblätter einbinden, um in diesem „Album“ Autographe der Wittenberger Reformatoren sammeln zu können. Am 2. Januar 1558 trugen sich in Wittenberg die Professoren Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Georg Major und Paul Eber nacheinander mit kurzen Auslegungen von Bibelworten oder einem anderen Text in das Album ein. Melanchthon wählte ein Zitat aus dem Kolosserbrief (Kol 3, 16), das er schon verwendet hatte, wenn ihm Studenten Ausgaben der Lutherbibel oder andere Bücher mit der Bitte um ein Autograph vorlegten. Mit dem Bibelzitat und der paraphrasierenden Auslegung wird das reformatorische Schriftprinzip – die Autorität des Wortes Gottes und die Bedeutung der Heiligen Schrift für das Leben des Menschen – herausgestellt. Der Eintrag Melanchthons, der mit „Amen“ als ein Gebet abschließt, lautet (in behutsam modernisierter Orthographie):

„Paulus zu den Colossern:

Die Rede des Herrn Christi soll in Euch reichlich wohnen in aller Weisheit, und ihr sollt euch unter einander lehren und erinnern. [Kolosser 3, 16a].

Dieser Spruch ist ein klares Zeugnis, dass [es] Gottes Wille ist, dass wir alle die Lehre des Herrn Christi oft hören oder selbst lesen und fleißig bewahren sollen. Dieses sollen wir tun Gott zu Ehren und dass Gott also – nämlich durch sein Wort – wirken will, und ist gewisslich wahr, wo die Lehre Christi im Herzen wohnet, das ist, wo es in rechter Bekehrung zu Gott mit Glauben betrachtet wird und angenommen [wird], im selben Herzen wohnet Gott selber wesentlich kräftiglich. Der Sohn, welcher ist des ewigen Vaters Wort, spricht den Trost in das Herz durchs Evangelium und zeiget den ewigen Vater, und der ewige Vater liebt dich um des Sohnes willen, und durch ihn gibt er den heiligen Geist in dein Herz, gibt Leben, lehret, erhöret, regiert, schützt, erhält dich und macht dich [zum] Erben [des] ewigen Lebens, darin Gott alles in allen Seligen sein will, und wird dir mitteilen sein Licht, Weisheit, Gerechtigkeit und Freude in Ewigkeit. Dem sei Lob und Dank, Amen.

Scriptum manu Philippi 1558“.

Mit staunenswerter Kunstfertigkeit wurde von dem Buchbinder – vermutlich Thomas Stelbogen in Leipzig – auf dem hinteren Einband das Melanchthonporträt gestaltet. Mit dem rechten Finger zeigt dieser auf ein Buch, das er geöffnet in den Händen hält. Darin ist in goldenen Miniaturbuchstaben Melanchthons Wahlspruch zu lesen: „Si Deus pro nobis, quis contra nos?“ (Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein? Römer 8, 31, hier mit Datierung der Platte: „1556“), der oft als Inschrift unter Porträts oder auf Titelblättern von Melanchthons Schriften zu finden ist. Unter dem Porträt wird ein weiteres Bibelwort zitiert: „SANGVIS IESV CHRISTI EMVNDA NOS AB OMNI PECCATO“ („Das Blut Jesu Christi reinige [!] uns von aller Sünde.“, 1. Johannes 1, 7b). Das Porträt mit den Bibelzitaten visualisiert das Bild von Melanchthon als Ausleger der Heiligen Schrift.

Als Melanchthon in Wittenberg seinen Eintrag in das Buch schrieb, dürfte er die kostbare Ausstattung des Bandes mit seinem Porträt und dem Porträt Martin Luthers auf der Vorderseite wahrgenommen haben.

Verfasser: Hans-Peter Hasse

Signatur: Theol.ev.asc.965,S.A-H (zum Digitalisat)

Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen. Ein wörtlich fast identischer Bucheintrag Melanchthons (1553) ist ediert in: CR 8, 196 f. (Nr. 5522); vgl. auch Hammer: Melanchthonforschung Nr. 1372.

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.