Autograph der Woche Ausgabe 10 von 95 |

Brief von Martin Luther, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon an Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, 7. Januar 1540.

Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.83-86

Protest gegen „Teuerung“

Die „Teuerung“ gehörte neben Krieg und Pest zu den gefürchteten „Landplagen“, die das Leben der Menschen im 16. Jahrhundert akut bedrohten. Gemeint ist der Preisanstieg bei Getreide, das die wichtigste Grundlage für die Ernährung der Bevölkerung darstellte. Der Anstieg der Preise für Getreide und Brot infolge von Ernteausfällen führte zu schweren Hungersnöten. In Wittenberg kam es im April 1539 zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage. Es gab kein Brot mehr zu kaufen. Die Kornvorräte waren aufgebraucht. In dieser Krisensituation setzte sich Luther für die Stadtarmen ein, indem er vom Schosser einige Scheffel Korn „erbettelte“. Er wandte sich an den Rat der Stadt und an den Landesherrn mit der Bitte um Hilfe. Vom Bürgermeister Lucas Cranach d. Ä. erhielt Luther die Auskunft, dass der Zukauf von Getreide aus der Mark Brandenburg durch ein Ausfuhrverbot des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. behindert werde. Die Mark Brandenburg war damals für Wittenberg der Hauptlieferant für Getreide. Am 1. November 1539 berichtete Melanchthon dem Fürsten Georg von Anhalt über die kritische Situation. Die Bäcker aus Wittenberg waren mit Briefen der Universität und des Rates der Stadt nach Dessau gereist, um dort Getreide zu kaufen. Melanchthon erwähnt in dem Schreiben, dass die Brandenburger trotz des Ausfuhrverbotes Getreide nach Hamburg exportierten. Damit trat offen zutage, dass mit Korn spekuliert wurde, um Höchstpreise zu erzielen. Die kritische Situation veranlasste die Wittenberger Reformatoren, sich mit einem Gesuch an den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg zu wenden, um für 21 Wispel Korn (504 Scheffel) eine Ausfuhrgenehmigung zu bekommen, die die Wittenberger Kirchgemeinde für die Armen der Stadt von dem brandenburgischen Adligen Dietrich von Rochow (1513–1551) kaufen wollte. Die Wittenberger begründeten ihr Gesuch mit biblischen Argumenten. Als Ägypten von einer Hungersnot heimgesucht wurde, habe Josef nicht nur für die Ägypter die Kornkammern geöffnet, sondern er habe „auch anderen Landen und Leuten Hilfe getan“ (1. Mose 41, 56 f.). Der Prophet Jesaja habe gefordert: „Brich’ dem Hungrigen dein Brot!“ (Jesaja 58, 7). Das schärfste Argument war zweifellos der Spruch: „Wer Korn zurückbehält, wird verflucht, wer aber verkauft, wird gesegnet.“ (Sprüche 11, 26). Der von einem Schreiber geschriebene Brief wurde von Martin Luther, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon eigenhändig unterzeichnet. Damit war das Gesuch nicht nur ein „Privatbrief“, sondern ein „offizielles“ Schreiben der Wittenberger Reformatoren, die in wichtigen Angelegenheiten – vor allem auch bei der Korrespondenz mit Fürsten – die Form eines Kollektivschreibens wählten.

Ob Luther oder Melanchthon das Schreiben verfasst hat, ist nicht bekannt. Fest steht, dass beide Reformatoren während der Teuerungskrise versuchten, Hilfe für Wittenberg zu erwirken. Über den Erfolg dieser Eingabe an den Hof des brandenburgischen Kurfürsten ist allerdings nichts bekannt. In seinen Predigten erhob Luther schwere Vorwürfe gegen Bauern, Adel und Getreidehändler, denen er Gewinnsucht und „Wucher“ vorwarf. Die Kornspekulanten waren für ihn „Räuber und Mörder“. In den Tagen, als der vorliegende Brief an den brandenburgischen Kurfürsten ausgefertigt wurde, bereitete Luther gerade seine Schrift „An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen“ für den Druck vor, die im Mai 1540 erschien. In dieser Schrift übte er fundamentale Kritik an der Profitsucht der „Geizhälse“ und „Wucherer“, die er für die „gräulichsten Feinde Gottes“ hielt.

Autor: Hans-Peter Hasse

Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.83-86 (zum Digitalisat des Briefes)

Edition der Quelle: WAB 9, S. 6-8 (Nr. 3430); MBW.T Bd. 9, S. 50 f. (Nr. 2345).

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.