Andreas Osiander (1496/98–1552) ist in zweifacher Hinsicht eine wichtige Gestalt für die deutsche Reformationsgeschichte: Zum einen gilt er, der über ein Vierteljahrhundert evangelischer Prediger in Nürnberg war, als Reformator dieser größten und bedeutendsten fränkischen Reichsstadt; er hat in dieser Funktion aber auch über Nürnbergs Grenzen hinaus auf die Schaffung reformatorischer Kirchenstrukturen in weiteren Reichsstädten und Territorien gewirkt. Zum anderen war er der Urheber einer der großen Lehrstreitigkeiten in der späten Reformationszeit. Dieser „Osiandrische Streit“, der seine letzten Königsberger Lebensjahre überschattete, hatte seine Wurzeln bereits in früher geäußerten theologischen Ansichten Osianders. Zur eigentlichen Kontroverse kam es aber erst 1550, als Osiander schon in Königsberg lebte und er seine Rechtfertigungslehre öffentlich zuspitzte: Er vertrat die Meinung, dass das Rechtfertigungsgeschehen des Menschen nicht allein auf dem Glauben beruhe, sondern zusätzlich auf einer substantiellen Einwohnung Christi im Menschen. Gleichsam an der Schnittstelle beider Lebensphasen – in den Jahren 1548/1549 – verfasste Osiander kurz nach seiner Ankunft im preußischen Königsberg den vorliegenden Brief.
Die Annahme des Interims (d.i. ein kaiserliches Religionsmandat, das gegen die Reformation gerichtet war) veranlasste in zahlreichen Reichsstädten – darunter auch Nürnberg – die Prediger ihr Amt aufzugeben. So verließ auch Osiander überstürzt die Stadt und begab sich auf eine mehrmonatige Flucht. Dabei konnte er auch nur noch sporadisch mit Nürnberger Freunden – wie beispielsweise Friedrich Pistorius – korrespondieren. Pistorius war 1520 letzter Abt des Nürnberger Egidienklosters geworden und lebte dort nach Einführung der Reformation als Bücherzensor bis zu seinem Tod 1553. Die beiden Männer standen – wie die Überlieferung zeigt – auch früher in brieflichem Kontakt, obwohl sie doch in ein und derselben Stadt wohnten und wirkten. Nun aber hatten sie Monate lang nichts von einander gehört und gelesen. Osiander eröffnet deshalb sein Schreiben vom 5. Juni 1549 mit der Mitteilung, dass seine Familie jetzt ebenfalls unversehrt in Königsberg eingetroffen sei. Denn Frau und Kinder waren dem Mann bzw. Vater drei Monate später nachgereist, nachdem dieser bei Herzog Albrecht von Preußen Asyl und eine Stelle als Theologieprofessor an der Königsberger Universität erhalten hatte.
Im Mittelteil des Schreibens behandelt Osiander ein ganz praktisches Problem und bittet seinen alten Freund bzw. dessen Frau um Hilfestellung: Am neuen Wohnort, rund 1.000 km nordöstlich von Nürnberg, mangelte es Osianders Ehefrau Helena offensichtlich an der gewohnten Kultiviertheit bei der Wäsche: die Qualität der Seife („sapo, id est die saiffe“) ließ beim Weißheitsgrad der Hemdenwäsche zu wünschen übrig. Tatsächlich dürften im 16. Jahrhundert die Seifen aus Mittelmeerländern besser gewesen sein, die aufgrund der intensiveren Handelsbeziehungen eher in Nürnberg als in Königsberg zu beschaffen waren. Osiander ließ deshalb bei der Frau von Pistorius nach einem Rezept zur Herstellung von Seife fragen, die Menschen in Preußen seien nämlich in dieser Sache nicht kundig („sed homines huius regionis talium artium rudes sunt“).
In einem weiteren Absatz berichtet Osiander über den Empfang eines Briefes des Thomas Cranmer, des Erzbischofs von Canterbury. Ihn hatte Osiander einst in Nürnberg kennen gelernt, und er zeigte sich erstaunt darüber, dass es Osiander nicht anderen durch das kaiserliche Interim vertriebenen Predigern gleich getan hatte und nach England gekommen war. Das im Brief gezeichnete, positive Bild des damaligen England („Rex pius, insula fortunata, ecclesia reformata“ – „ein frommer König, eine selige Insel, eine erneuerte Kirche“) sollte freilich trügen, denn der reformationsfreundliche Kurs des damaligen Königs endete bereits mit dessen frühem Tod 1553.
Mit abschließenden Grüßen an gemeinsame Bekannte endet der Brief.
Verfasser: Andreas Gößner
Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,12(3) (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Andreas Osiander: Schriften und Briefe 1549 bis August 1551/ hrsg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß. Gütersloh 1994 (Andreas Osiander d. Ä.: Gesamtausgabe; 9), S. 88-90 (Nr. 369).
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.