Autograph der Woche Ausgabe 34 von 95 |

Brief Margaretha Kuffners an Philipp Melanchthon d. J., 8. Januar 1544.

Signatur: Mscr.Dresd.R.97,Bl.90-91

Ein Mädchen kämpft für seine Liebe

Briefe von Mädchen aus dem 16. Jahrhundert sind nur wenige überliefert. Deshalb darf diese Handschrift einen besonderen Platz beanspruchen. Ihre Schreiberin ist Margaretha Kuffner, die in Leipzig als Tochter des Goldschmieds Günther Kuffner geboren wurde. Adressiert ist der Brief an den Sohn Philipp Melanchthons, Philipp den Jüngeren. Margaretha Kuffner war die jüngere Schwester von Helena, die 1541 Paul Eber, den späteren Stadtpfarrer und Generalsuperintendenten der Wittenberger Stadtkirche, heiratete. Höchstwahrscheinlich hatte sie zusammen mit ihrem Stiefvater, Vinzenz Stange, Pfarrer an der Leipziger Thomaskirche, und ihrer Mutter im Dezember 1543 die Schwester besucht und dort den jungen Philipp Melanchthon kennengelernt. Es blieb nicht beim Kennenlernen, sondern es kam zu einer leidenschaftlichen Begegnung und zumindest zu einer gemeinsamen Nacht. Bei diesem nächtlichen Zusammensein versprachen sich die beiden die Ehe, was nach damaliger Rechtsauffassung bedeutete: Sie verlobten sich und schlossen damit verbindlich den Bund der Ehe, denn die Verlobung galt als der die Ehe begründende Rechtsakt. Der damals 18jährige Philipp erzählte offensichtlich erst danach seinen Eltern von dem Ereignis und provozierte heftigen Widerstand. Vater Melanchthon reiste Anfang Januar 1544 nach Leipzig, um die Angelegenheit einvernehmlich zwischen den Familien zu klären. Doch eine hatte keineswegs vor, mitzuspielen: Margaretha Kuffner. Sie schreibt am 8. Januar 1544 einen Brief an ihren Verlobten, in dem sie ihn an sein Versprechen erinnert und gewaltig unter Druck setzt. Der Brief verdient wegen seiner leidenschaftlichen Rhetorik, ausführlicher zitiert zu werden:

„Gottes Gnade und Friede durch Christum wünsche ich euch und ein glückselig neues Jahr, herzallerliebster Philippe, Ihr traget noch in frischem Gedächtniß, was ihr mit mir geredt habt zu Wittenberg, nämlich daß ihr mir angelobt, mich zu einem ehelichen Gemahl zu nehmen, und auf daß ich nicht möchte an euer Zusag zweifeln oder gedenken, es wäre euer Ernst nicht, habt ihr mir dieselbige Zusagung, wie ihr wohl wisset, des Morgens verneuert, und endlich die Hand darauf gegeben, auch nachfolgends etliche Geschenk darauf überantwortet, und noch in meinem Abschied dieselbige Ehe in die Faust zugesagt und mit ganz großem ernstem Schwure bestätigt, nämlich daß ihr immer und in Ewigkeit keine andere zu nehmen willens seid, und ich euer sei auch nicht von euch mag geschieden werden denn durch den Tod. Wie ihr solches alles wißt, und dieweil ich von euch gezogen und mich auf solche ofte Zusagung verlassen, werd ich armes Mägdlein nu nicht allein hie unbillig ausgetragen, als solt ich mich heimlich hinter meiner Eltern Wissen mit euch verlobt, auch nachgegangen und kein Ruhe gehabt bis ihr mir die Ehe zugesagt. […] Aber itzund erfahr ich wie euer Vater mit dem meinen umgehen will, und gar ein nicht daraus machen, welches ich denn nicht recht verstehen noch ermessen kann, viel weniger mit unser beider gutem Gewissen gehen mag, und dieweil solche Zusagung zwischen uns beiden geschehen, auch anlangen thut unser eigen Gewissen, daß wir es vor Gott am jüngsten Tag verantworten müssen, acht ich kann und mag sie ohn unsre beiden Verwilligung nicht zertrennt noch verhindert werden, wie denn euer Herr Vater wohl zu thun vermeinet. Und machet mich armes Mägdlein diese neue Mähr zu diesem neuen Jahr ganz betrübt und verrenkt, daß ich nicht weiß, was ich vorhaben soll, kann und mag weder essen noch trinken, weder schlafen noch wachen, also gar bin ich in meinem Gemüth zerrückt, zu welchem allen ihr eine einige Ursach seid, und ich besteh, so dieser Sach nicht recht geholfen werde, werde es mir großen Schaden thun.“

Sie verflucht ihren jungen Liebhaber, wenn er seine Zusage nicht einhält, „daß ihr Gottes Antlitz nimmermehr besehen wollt, auch ewig des Teufels sein“. Der junge Philipp konnte dem Druck seiner Eltern nicht standhalten und schickte ihr wenige Tage später einen Abschiedsbrief. Margaretha starb nicht, wie angedroht, an gebrochenem Herzen, sondern heiratete ein Jahr später in St. Nikolai in Leipzig den Dresdner Magister Wenzeslaus Sturm, der 1589 als Pfarrer und Superintendent in Bitterfeld starb. Von Margaretha kennen wir leider nur diese Verlobungsepisode.

Margarethas Brief ist auch über die engere Melanchthonforschung bekannt geworden, da er z. B. in der Anthologie Deutscher Liebesbriefe im Jahr 1926 im Avalun-Verlag (Hellerau/Dresden) durch Julius Zeitler herausgegeben und 1979 von dem Schweizer Komponisten Heinrich Sutermeister (1910-1995) für Sopran und Orchester vertont wurde.

Verfasser: Stefan Rhein

Signatur: Mscr.Dresd.R.97,Bl.90-91 (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: CR 5, Sp. 286-288 (Nr. 2846).

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.