Während seines Aufenthaltes in Prag (Juli bis November 1521) erwarb Thomas Müntzer (vor 1490–1525) den vorliegenden Band, der 1521 in Prag gebunden wurde. Er enthält je eine Ausgabe der lateinischen Schriften der Kirchenväter Cyprian (gest. 258) und Tertullian (gest. nach 220). Der im Juni 1521 in Basel erschienenen Tertullian-Ausgabe sind drei Texte aus der Feder des Herausgebers Beatus Rhenanus (1485–1547), eines damals bekannten Humanisten aus Schlettstadt im Elsaß, vorangestellt, und zwar eine Widmungsvorrede („Praefatio“) an Stanislaus Thurzo (1497?–1540), Bischof von Olmütz, eine „Vita“ Tertullians sowie eine „Ermahnung an den Leser über einige Lehren Tertullians“. Müntzer hat nicht nur einen Teil der Schriften Tertullians glossiert, sondern kommentierte auch die Texte des Rhenanus. Der Inhalt von Müntzers Marginalien spricht für eine Datierung der meisten Notizen in die Jahre 1521/1522.
In seinen Glossen grenzt sich Müntzer von der römischen Kirche, den Humanisten und Luther ab, und versucht, seine eigene Position im frühesten Christentum der ersten beiden Jahrhunderte wiederzufinden. Gezeigt wird hier eine Seite aus der Vorrede des Rhenanus. Müntzer gibt seine Urteile in der distanzierteren lateinischen Gelehrtensprache und in einzelnen, gefühlsgeladenen deutschen Ausrufen ab. Gemischtsprachig ist sein Spott über Rhenanus unterhalb der letzten Druckzeile: „Ja Ja mentitur in euum“ („Ja, ja, er lügt lebenslang“). Während Rhenanus meint, zur Zeit des Kirchenvaters Hieronymus (gest. 420) habe man eine reinere Theologie gehabt als zur Zeit Tertullians, sucht Müntzer nach der Wahrheit bei den ältesten Theologen.
Die Schärfe von Müntzers Polemik gegen Rhenanus, der sich als Humanist an Erasmus orientierte, erklärt sich aus Müntzers Streit mit dem Erasmianer Johannes Sylvius Egranus, den er 1521/1522 in Zwickau ausgetragen hatte. Diese Humanisten waren für Müntzer der römischen Kirche hörig und zugleich Leute, die die Bibel ohne den göttlichen Geist, der die Urkirche erfüllte, nur „buchstäblich“ auslegen. Am linken Rand lautet die erste Notiz: „nullus eorum habuit reuelationes“ („Keiner von ihnen hatte Offenbarungen“). Diese These bezieht sich hier zwar auf die am oberen Rand notierten altkirchlichen Autoren Tertullian, Chrysostomus und Gregor, die vorhergesagt hätten, „der letzte Tag des Gerichtes stehe nahe bevor“. Diese Kirchenväter hätten sich geirrt, weil ihnen keine göttliche Offenbarung zuteil geworden sei. Analoge Kritik richtet Müntzer sowohl gegen die Humanisten als auch gegen Luther, den er auf einer anderen Seite abschätzig als „Mönch Martin Luther“ einführt. Müntzer seinerseits sprach und handelte von seiner Reise nach Prag bis zum Bauernkrieg im Bewusstsein, ihm würden Offenbarungen durch den göttlichen Geist zuteil.
Verfasser: Ulrich Bubenheimer
Signatur: Mscr.Dresd.App.747,angeb. (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
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