Das Scheitern der Einigungsbemühungen zwischen der reformatorischen und der altgläubigen Seite auf dem Augsburger Reichstag 1530 und eine gewisse Absicherung der Position der evangelischen Stände durch den Nürnberger Anstand 1532 führte zu einer Verfestigung der Kirchenspaltung in Deutschland. Die Protestanten gewannen weiter an Boden und dadurch auch an Selbstbewusstsein. Deshalb erschien nun eine Rücksichtnahme auf bisherige Rechte der Bischöfe, von denen sich bislang kein einziger der Reformation geöffnet hatte, als weniger notwendig. Das betraf auch die Frage der Amtseinsetzung evangelischer Geistlicher, die Ordination – das Augsburger Bekenntnis von 1530 sah in einer ordnungsgemäßen Berufung die Voraussetzung für das öffentliche Predigtamt.
Zu dieser Frage äußerte sich Martin Luther in seiner Schrift „Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, von der hier ein Fragment einer Probe des Druckmanuskripts vorliegt. Der Reformator wandte sich erneut gegen das altgläubige Verständnis vom Priesteramt als einem besonderen, der Gemeinde gegenüberstehenden Amt. Das stand im Widerspruch zum aus der Bibel abgeleiteten Prinzip des Priestertums aller Getauften – einem der normativen Grundsätze der Reformation – und bedeutete eine Abwertung der Taufe. In der Taufe werden, so die Auffassung Luthers und der Reformation, alle Christen zum Priester geweiht. Das war ein entscheidender Schritt hin zu einer – im deutschen Luthertum allerdings zeitlich erst sehr viel später erfolgenden – Demokratisierung der Kirche. Deshalb, so Luther, darf die Priesterweihe keine Berufung in einen herausgehobenen Stand sein, sie ist auch kein kirchliches Sakrament, sondern sie beinhaltet die Beauftragung eines akademisch ausgebildeten Theologen mit Wortverkündigung inklusive Sakramentsverwaltung und Seelsorge. Der Pfarrer „ist unser aller Mund“, schreibt Luther, er ist „Repräsentant der Gemeinde“ (M. Brecht).
In diesem Text Luthers liegt der erste schriftlich überlieferte Hinweis aus seiner Feder auf Wittenberger Ordinationen vor. Allerdings bleibt, womöglich aus Rücksichtnahme auf den kurfürstlichen Hof, offen, ob solche bereits stattfanden. Das Ordinationsrecht sprach Luther allen in Wittenberg amtierenden Pfarrern zu, es beschränkte sich nicht auf die Bischöfe. Die Ordination sollte öffentlich erfolgen und war auch an einem anderen Ort als der Gemeinde, in der der Theologe tätig sein würde, möglich. Erstmals fand am 20. Oktober 1535 in Wittenberg eine für Kursachsen zentrale Ordination von Theologen statt, die zuvor die Superintendenten benannt hatten. Ordinator war Johannes Bugenhagen, Stadtpfarrer in Wittenberg.
Ein weiterer Angriffspunkt in Luthers Schrift waren die sogenannten Seelenmessen für Verstorbene. Es handelte sich um zumeist kostenpflichtige Privatmessen, auch polemisch als „Winkelmessen“ bezeichnet – für den Reformator ergaben sie sich in letzter Konsequenz aus dem altgläubigen Verständnis vom Altarsakrament als einer Wiederholung des Opfers Christi durch den Priester. Luther stellte dem den Gemeinschaftscharakter des Abendmahls und seine Zusammengehörigkeit mit der Predigt des Evangeliums gegenüber. Die „Winkelmesse“ raubte, so der Reformator, der Gemeinde Leib und Blut Christi und machte daraus überdies ein finanzielles Geschäft. Nicht „Opferpfaffe[.]“, „Erzkirchendieb“ und am Profit orientierter „Bauchpfaff“, sondern „gemeine[r] Kirchenpfaffe[.]“ sollte ein Geistlicher sein.
Verfasser: Gerhard Lindemann
Signatur: Mscr.Dresd.A.155,Bl.49-51 (zum Digitalisat)
Edition der Quelle: WA 38, S. 171-256.
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