Im Rahmen seiner großen Genesis-Vorlesung von 1535 bis 1545 bemerkte Luther, ausgehend von den Geschlechtsregistern Genesis 5, dass es nützlich wäre, sich die Lebensdauer der Patriarchen in Form von Listen vor Augen zu führen. Dabei dürfte ihn sein Kollege Philipp Melanchthon beeinflusst haben, der nicht müde wurde, die Notwendigkeit von kalendarischen Berechnungen für historische und biblische Studien zu betonen.
Ursprünglich für den privaten Gebrauch gedacht, legte Luther eine Chronik an, in deren Mitte blockartig das jeweilige Jahr stand, dem links und rechts bedeutende Ereignisse zugeordnet wurden. 1541 und noch einmal 1545 kam dieses Manuskript unter dem Titel „Supputatio annorum mundi“ in Wittenberg zum Druck.
Als Verstehensgrundlage des Alten Testaments diente Luther ein dem Propheten Elia zugeschriebener Spruch, der aber eigentlich aus dem Talmud stammte. Da Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen habe, ein Tag vor ihm aber wie tausend Jahre sei, ergab sich nicht nur für Luther zwingend eine Dauer der Schöpfung von 6000 Jahren. Daran knüpfte der Pseudo-Elias an: „Six millibus annorum stabit Mundus. Duobus milibus inane. Duobus milibus Lex. Duobus milibus Messiah.“ (Sechstausend Jahre existiert die Welt. Zweitausend Jahre leer. Zweitausend Jahre Gesetz. Zweitausend Jahre Messiah.)
Mit Hilfe der Geschlechter-Listen des Alten Testaments berechnete Luther das Datum der Erschaffung der Welt, wobei sich die unterschiedlichen Überlieferungen in der Form des Manuskripts mit Streichungen und Ergänzungen widerspiegeln. Im Ergebnis kommt er für das Jahr 1540 christlicher Zeitrechnung auf 5500 nach Beginn der Schöpfung. Da aber laut Danielbuch das letzte Jahrtausend verkürzt werden sollte, sah sich Luther am Ende der Welt angekommen. Er warnte zwar davor, dessen Zeitpunkt präzise errechnen zu wollen, erwartete aber den „lieben jüngsten Tag“ doch unmittelbar nach seinem Tode.
Die abgebildete Seite enthält Luthers Eintragungen für den Zeitraum der Jahre 2451 bis 2520 vom Beginn der Schöpfung. Die Zeitleiste in der Mitte markiert – wie auch auf den anderen Seiten in dieser Handschrift – sieben Dezennien. Das Jahr 2500 (MMD) ist deutlich hervorgehoben. Eingetragen sind u.a. der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, der Tod des Mose und die Aufteilung des Landes Kanaan unter Josua. Senkrecht wird in der rechten Spalte die Entstehung der fünf Bücher Mose in dieser Zeit vermerkt. In der Spalte links daneben erörtert Luther die Frage, ob es schon vor dieser Zeit Schriften und Schreiber gegeben habe. Die Art der Notizen und die unterschiedlichen Tintenfarben zeigen, dass Luther über mehrere Jahre immer wieder Daten und Ereignisse in das Heft eintrug, das mit dem durchlaufenden Zeitstrahl klar gegliedert ist. Luthers Arbeitsweise beschrieb Justus Jonas 1541 mit den Worten, Luther habe sein „Chronikon“ mit „viel Fleiß und Arbeit“ zusammengebracht.
Verfasser: Martin Treu
Signatur: Mscr.Dresd.F.66.b (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: WA 53, S. 22-182.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.