Luther und die Juden
Am 18. August 1543 schickte Martin Luther ein Exemplar seiner Schrift „Von den letzten Worten Davids“ mit einer handschriftlichen Widmung an Marcus Crodel in Torgau. Crodel war seit 1526 Lehrer und ab 1539 Rektor der Lateinschule in Torgau. Unter seiner Leitung erwarb sich die Schule hohes Ansehen als humanistische und vom evangelischen Geist geprägte Bildungsstätte. Sie wurde auch von Söhnen der Wittenberger Professoren besucht. 1542 schickte Luther seinen Sohn Johannes an die Torgauer Schule.
Auf das Titelblatt seines Buchgeschenkes schrieb Luther die Widmung: „D Marco Crodel Servo Christi Martinus Luther in Memoriam 1543 Die Augusti 18“ (Dem Herrn Marcus Crodel, ein Knecht Christi, Martin Luther zur Erinnerung, am 18. August 1543). Luther nennt Crodel hier „Servus Christi“. Die Übersetzung mit „Knecht“ oder „Sklave“ verbindet sich für uns mit der Vorstellung von Unfreiheit. Das ist jedoch nicht gemeint. Luther überträgt hier eine Selbstbezeichnung des Apostels Paulus („Knecht Christi“, z. B. Römer 1, 1) auf Crodel. Das ist als eine Auszeichnung zu werten. Wie Paulus habe sich Crodel als „Servus“ in den Dienst Christi gestellt.
Luthers Schrift „Von den letzten Worten Davids“ ist eine exegetisch-dogmatische Abhandlung über das richtige Verständnis des Alten Testaments im Unterschied zur jüdischen Auslegung. Luther nimmt hier ein zentrales und zwischen Christen und Juden umstrittenes Thema auf. Das Verständnis der Bibel – auch des Alten Testaments – sei den Christen durch Christus geschenkt worden, der im Alten Testament verheißen sei. Weil die Juden Christus nicht annehmen, können sie Mose, die Propheten und Psalmen nicht verstehen. Insbesondere bleibe ihnen das Geheimnis der Trinität Gottes verborgen, die bereits im Alten Testament – auch im „Testament Davids“ (2. Samuel 23, 1-7) – offenbart sei. Luther zitiert viele biblische Belege, um die Trinität und die Gottessohnschaft Christi auch aus dem Alten Testament zu erweisen. Er setzt sich mit den Argumenten der jüdischen Gelehrten auseinander, ist sich aber dessen bewusst, dass die Dreifaltigkeit Gottes nicht mit dem Verstand zu begreifen ist. Das unbegreifliche Wesen Gottes lasse sich in der Nussschale der Vernunft nicht erfassen ohne die Erleuchtung durch Christus.
Bis auf einige heftige Ausfälle gegen die „zänkischen Hebraisten und Rabbinen“ ist die Schrift in einem sachlichen Ton gehalten. Sie steht im Zusammenhang mit anderen Schriften Luthers über die Juden. Sein Verhältnis zu den Juden war zunächst freundlich. In seiner Schrift „Dass Jesus ein geborener Jude sei“ (1523) sagt Luther, dass ihnen als „Vettern und Brüdern Jesu“ das Evangelium gepredigt werde in der Hoffnung, dass sie sich zum christlichen Glauben bekehren. 15 Jahre später folgte in „Wider die Sabbater“ (1538) dagegen eine schroffe Abkehr. Die Juden seien blind und verstockt, von Gott verworfen, und da sie sich in ihrem Elend nicht demütigen, möge man mit gutem Gewissen an ihnen verzweifeln. Von offener Judenfeindschaft geprägt sind „Vom Schem Hamphoras“ und „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543). Luther hat seine Meinung nicht mehr geändert, sondern noch zwei Tage vor seinem Tod in einer „Vermahnung“ bekräftigt. Die Rezeption dieser Schriften im 19. und 20. Jahrhundert war folgenschwer. Der rassisch motivierte Antisemitismus nahm die Autorität Luthers für sich in Anspruch. Die historische Forschung steht heute vor der Aufgabe, sich diesem schwierigen Thema kritisch und differenziert zu stellen. Wie das methodisch geleistet und verantwortet werden kann, ist heute umstritten. Beachtung verdient der Vorschlag Thomas Kaufmanns, den Antijudaismus Luthers im Modus einer „konsequenten Historisierung“ und Kontextualisierung zu thematisieren.
Verfasser: Manfred Mühlner
Signatur: Hist.eccl.E.312,6.b,misc.1 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: WA 48, S.256 mit Revisionsnachtrag S.123; WA 54, S.28-100.
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