Autograph der Woche Ausgabe 60 von 95 |

Brief von Jakob Schwartz an Philipp Melanchthon, 26. Januar 1552.

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,22

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Dieser Brief wurde in tiefster Trauer geschrieben. Er stammt von dem Wittenberger Studenten Jakob Schwartz, der nach dem Tod seiner Mutter ausgerechnet bei seinem Professor Trost suchte. Wäre der Professor nicht der berühmte Philipp Melanchthon gewesen, hätte dieser emotionale, rührende Brief des Studenten, über dessen weiteren Lebensweg nur wenig bekannt ist, wohl kaum die Jahrhunderte überdauert. Und wäre Melanchthon nicht gerade unterwegs gewesen, hätte Schwartz, der das Privileg genoss, im Hause Melanchthons zu wohnen, diesen Brief gar nicht zu schreiben brauchen.

Doch der Reihe nach: Anfang Januar 1552 brach Melanchthon von Wittenberg auf; Kurfürst Moritz von Sachsen hatte ihm befohlen, zum Konzil nach Trient zu reisen. Er kam nur bis Nürnberg, wo er auf weitere Weisung warten sollte. (Aufgrund der veränderten politischen Lage bekam er allerdings keinen weiteren Auftrag und kehrte schließlich im März nach Wittenberg zurück.) Da Schwartz mit seinem Brief nicht warten konnte, schickte er ihn seinem Praeceptor nach.

Der Brief ist klar strukturiert, sorgfältig stilisiert und zeigt einen souveränen Umgang mit der lateinischen Sprache. Zu Beginn wirbt Schwartz um Verständnis für seine Trauer, denn während er selbst den Verlust seiner Mutter verkraften müsse, empfinde auch Melanchthon gerade höchste Betrübnis über den Tod seines Enkels – Albert Sabinus, der Sohn von Melanchthons Tochter Anna, die kurz nach Alberts Geburt gestorben war, war seiner Mutter im Alter von knapp fünf Jahren gefolgt. Dann schildert Schwartz die Symptome der Trauer, die ihn völlig überwältigt hat: „Ich fühle nämlich, dass gleichzeitig meine Geisteskraft allmählich nachlässt und die Tätigkeit aller meiner Glieder erschlafft. Obwohl ich mir sowohl die Trostgründe vor Augen halte, die in der Bibel stehen, als auch diejenigen, die Du in Deinem klugen Brief an mich geschrieben hast, und obwohl ich versuche, mich von der Betrachtung des gegenwärtigen und des zukünftigen Elends abzulenken, will es mir nicht gelingen, meinen Schmerz hinreichend zu unterdrücken oder die Erinnerung und die Sehnsucht nach dem Umgang mit der Mutter ablegen.“ Er hatte also bereits einen Trostbrief von Melanchthon bekommen. Diesen Brief muss er oft gelesen haben; er bedeutete dem Studenten so viel, dass er das von Tränen durchweichte Schriftstück – so schreibt er am Ende seines Briefes – ständig bei sich trug. Von seiner eigenen Trauer richtet Schwartz dann den Blick auf seine Familie im fernen Siegen, vor allem auf den Vater, Kuno Schwartz, der nach 27 glücklichen Ehejahren seine Lebensgefährtin verlor. Dessen Bitte, Melanchthon möge ihm ebenfalls einen Trostbrief schreiben, leitet Jakob weiter und unterstützt sie: „Ich weiß, dass mein Vater durch einen Brief von Dir eine ungeheure Linderung seines Kummers erfahren würde.“ Er selbst hatte die Wirkung von Melanchthons Tröstung erfahren und erhoffte für seinen Vater – der Melanchthon ebenfalls persönlich kannte, denn er hatte ihn 1543 auf dessen Reise nach Bonn beherbergt – ein ähnliches Erlebnis.

Der Brief zeigt exemplarisch die aktive Trauerarbeit nach dem Tod einer nahestehenden Person. Jakob Schwartz und sein Vater verdrängen die Trauer nicht, sondern lassen sie zu, zeigen sie rückhaltlos und fordern das Werk der christlichen Barmherzigkeit, Trauernde zu trösten, von anderen ein. Die mitfühlende Solidarität und der Trost, den sie erfahren, trägt wesentlich zur Bewältigung ihrer Trauer bei – denn geteiltes Leid ist halbes Leid.

Verfasserin: Christine Mundhenk

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,22 (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: Bislang ungedruckt (Regest: MBW Nr. 6318).

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.