Korrespondenz zwischen Wittenberg und Nürnberg
Das „Netzwerk“ Reformation wurde von Wittenberg aus durch das Medium des Briefes geknüpft. Zu den Städten, mit denen intensiv korrespondiert wurde, gehörte Nürnberg. Eine große Zahl von Briefen wurde zwischen Wittenberg und Nürnberg befördert. Von knapp 10.000 erhaltenen Briefen der Korrespondenz Melanchthons sind allein 962 Briefe zwischen Wittenberg und Nürnberg gewechselt worden. Zu Melanchthons Korrespondenten in Nürnberg gehörten sein Freund Joachim Camerarius d.Ä. (1500–1574), der Pfarrer Veit Dietrich (1506–1549) und der Ratsherr und Bürgermeister Hieronymus Baumgartner (1498–1565). 229 Briefe Melanchthons an Baumgartner sind überliefert. Von den Briefen Baumgartners an Melanchthon sind die meisten verloren, nur 26 sind erhalten. Die Kontakte zwischen Wittenberg und Nürnberg wurden auch von Personen aus dem Umfeld Melanchthons gepflegt, so von seinem Schwiegersohn Caspar Peucer (1525–1602), der aus Bautzen stammte und in Wittenberg (1540–1548) studiert hatte. 1554 wurde er in Wittenberg Professor für Höhere Mathematik und 1560 Professor für Medizin. Daneben beschäftigte er sich auch mit Astronomie, Geschichte und Theologie. Als Student lebte er im Hause Melanchthons, dessen Tochter Magdalena er 1550 heiratete. Nach Melanchthons Tod bemühte er sich um die Sammlung, Bewahrung und Publikation von dessen Nachlass.
In der SLUB Dresden wird ein Dossier von 15 Briefen aufbewahrt, die Peucer zwischen 1553 und 1563 an Hieronymus Baumgartner in Nürnberg schrieb. Baumgartner hatte seit 1518 in Wittenberg Philosophie, Mathematik und Jura studiert. Er war ein enger Vertrauter Luthers und Melanchthons. Als er 1525 in seine Heimatstadt Nürnberg zurückkehrte, setzte er sich als Ratsherr für die Einführung der Reformation ein. Der hier vorgestellte Brief, den Peucer am 18. November 1560 an Baumgartner richtete, zeigt die Vertrautheit der Korrespondenten. Nach Genesungswünschen und einem medizinischen Rat für Baumgartner berichtet Peucer − ohne Namen und Details zu nennen − von aktuellen religionspolitischen Entwicklungen. Verhandelt wurde damals der Plan, die „Augsburgische Konfession“ (1530) erneut von ihren Anhängern unterschreiben zu lassen, um die konfessionelle Einheit der Evangelischen zu demonstrieren und den Theologenstreit zu beenden. Konkret wurde damals eine Zusammenkunft der evangelischen Fürsten geplant, die am 20. Januar 1561 in Naumburg zustande kam. Peucer berichtet über kontroverse Diskussionen zu diesem Plan. Die Skepsis Peucers sollte sich bestätigen. Es gelang nicht, bei dem Naumburger „Fürstentag“ eine theologische Einigung zu erreichen.
Am Ende des Briefes teilt Peucer mit, dass er den Text eines „Epitaphs“ auf Melanchthon an die Kunsthandwerker in Nürnberg („ad artifices vestros“) schickt, das auf Kosten der Universität Wittenberg in Bronze gegossen werden soll. Es handelt sich um ein Lobgedicht (Enkomion) von Joachim Camerarius d.Ä. auf Melanchthon, das er anlässlich des Todes seines Freundes − Melanchthon war am 19. April 1560 verstorben − verfasst hatte. Der Text war für ein Denkmal in der Wittenberger Schlosskirche bestimmt. Das Gedicht wurde in zwei Tafeln aus Bronze gegossen und fand seinen Platz an der Kirchenwand in der Nähe von Melanchthons Grab. Wollte man ein Kunstwerk in hoher Qualität aus Bronze herstellen lassen, wandte man sich an die Erzgießer in Nürnberg. Peucer nutzte seine Kontakte zu Baumgartner für die Vermittlung dieses Auftrages und empfahl, den berühmten Nürnberger „Schreibmeister“ (Kalligraphen) Johann Neudörfer (1497–1563) für die Schriftgestaltung zu gewinnen. Camerarius werde an Neudörfer schreiben. So sorgten die engsten Freunde Melanchthons (Camerarius, Baumgartner) und sein Schwiegersohn Caspar Peucer für die Herstellung des Epitaphs, mit dem die Universität Wittenberg ihrem „hochverdienten Vater und Lehrer“ („Parenti et Praeceptori“) ein Denkmal setzte. Die Schrift wurde mit Goldfarbe auf blauem Hintergrund koloriert.
Dass das Denkmal in Nürnberg gegossen und vermutlich durch Neudörfer mitgestaltet wurde, war bislang nicht bekannt. Der Brief Peucers vermittelt Einblicke in die Entstehungsgeschichte des ersten Melanchthondenkmals, das als Gesamtkunstwerk aufgrund der Zerstörung der Schlosskirche (1760) heute nicht mehr erhalten ist. Zu dem Denkmal gehörte ursprünglich ein Porträt Melanchthons in Lebensgröße, gemalt von Lucas Cranach d.J. (1562) und Melanchthons Wappen. Nur das in Bronze gegossene Gedicht hat das Feuer überstanden. Darin wird von Melanchthon gesagt: „Doctrinae nobis verae tu doctor et autor“ (Du bist für uns ein Lehrer und Zeuge der wahren Lehre).
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f.,13(7) (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.