Autograph der Woche Ausgabe 92 von 95 |

Petrus Albinus: Chronik der Stadt Wittenberg, nach 1578.

Signatur: Mscr.Dresd.Q.133,5

Wittenberg - ein „Berg der Weisheit“

„Wittenberg, die kleine arme Stadt,/ einen großen Namen itzund hat/ von Gottes Wort, das heraus leucht / und viel Seelen zum Himmel zeucht.“ – so heißt es in einem Lobgedicht, das Martin Luther auf Wittenberg schrieb. Im Jahr 1518 prägte Luther das Wort „Vitebergescere“ („Wittenbergern“), das meinte: sich der Wittenberger Theologie anschließen. Nicht in Bezug auf die Lokalität, sondern in Bezug auf das Wirken Gottes konnte Luther den Namen dieser Stadt heilsgeschichtlich deuten und „Weißenberg“ mit dem Leuchten des Wortes Gottes in Verbindung bringen. Diese Deutung des Namens „Wittenberg“ als „Mons Libani“, „Weißenberg“ und „Berg der Weisheit“ zitierte der Joachimsthaler Reformator Johannes Mathesius (1504–1565) in seinen biografischen Predigten über das Leben Luthers, die 1566 erschienen. Mathesius konnte authentisch über Luther berichten. Er hatte in Wittenberg studiert und an Luthers Tisch gesessen, wo er dessen „Tischreden“ mitschrieb.

Die Luther-Predigten des Mathesius nutzte als Quelle der aus Schneeberg stammende Peter Weiß (Albinus, 1543–1598), der als Historiograph der sächsischen Geschichte berühmt wurde. Er hatte nach dem Besuch der Fürstenschule in Meißen in Frankfurt (Oder), Leipzig und Wittenberg Philosophie und Geschichte studiert. 1578 wurde er Professor für Poesie an der Wittenberger Universität, 1586 Rektor. 1588 wurde er von Kurfürst Christian I. als Archivar an den Dresdner Hof berufen. Neben seinen gedruckten Publikationen zur Geschichte Sachsens sind in seinem Nachlass in der SLUB Dresden auch zahlreiche Manuskripte historischer Arbeiten erhalten, die nicht zum Druck gelangten, darunter Chroniken der Städte Dresden, Freiberg, Quedlinburg, Zwickau und Wittenberg. Die hier vorgestellte Wittenberger Chronik enthält auf 28 Blättern chronikalische Notizen von den Anfängen der Wittenberger Stadtgeschichte bis zum Jahr 1578. Als wichtigste Quelle dienten Albinus die Predigten des Mathesius über das Leben Luthers, darunter vor allem die 16. Predigt über die Geschichte der Universität Wittenberg. Von Mathesius übernahm er auch die oben zitierte Deutung des Namens „Wittenberg“ als „Berg der Weisheit“. Auf der aufgeschlagenen Seite (Bl. 28v) wird die Veröffentlichung der 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses als Thesen-„Anschlag“ an der Wittenberger Schlosskirche erwähnt. Es folgen Weissagungen auf die Reformation Luthers, die Albinus bei Mathesius fand. Als die Thesen Luthers im Kloster Steinlausig bei Bitterfeld bekannt wurden, habe dort der Prior Doktor Fleck vor Freude laut aufgeschrien und gerufen: „Der wird’s tun! Er kommt, darauf wir lange gewartet haben.“ Aus der 15. Predigt des Mathesius zitiert Albinus die Geschichte, dass der bayerische Hofnarr („Freudenmacher“) Löffler bei Luthers Einzug in Worms (1521) vor Luther mit einem Prozessionskreuz hergegangen sei und laut gerufen habe: „Advenisti desiderabilis, quem expectabamus in tenebris.“ (Übersetzung des Mathesius: „Willkommen, du lieber Gast, darauf wir in der Finsternis lange gewartet haben.“) Daher, schreibt Albinus, sei das Sprichwort gekommen, dass Narren und Kinder die Wahrheit sagen.

Obwohl Albinus bei seiner Abfassung der Wittenberg-Chronik vornehmlich zeitgenössische gedruckte Quellen wie die Lutherpredigten des Mathesius heranzog, ist der Quellenwert dieser Chronik nicht zu unterschätzen, da hier manche Details zu finden sind, die sonst kaum bekannt sind. Dazu gehören exakte Geburts- und Todesdaten. Die Geburt von Luthers Sohn Johannes wird auf die Stunde genau angegeben: 7. Juni 1526 „eine halbe Stunde nach 12 Uhr zu Mittag“; die Geburt von Caspar Cruciger d.J. (1525–1597): 19. März 1525 „eine Viertelstunde vor 6 Uhr zu Abend“. Nirgendwo sonst – nur hier, in der Chronik des Albinus – wird erwähnt, dass am 23. Juni 1519 der Student Alexander Spiegel in der Elbe ertrank. Dessen Wappen hatte Albinus in der Wittenberger Stadtkirche – vermutlich an einem Epitaph – noch gesehen; heute ist das Wappen nicht mehr erhalten. So sind in den Städtechroniken des Albinus manche wertvolle Daten der Reformationszeit verborgen, die es verdient hätten, sie in einer kritischen Edition zu erschließen.

Verfasser: Hans-Peter Hasse

Signatur: Mscr.Dresd.Q.133,5 (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.