Zu den weniger bekannten Mitarbeitern Luthers in Wittenberg gehörte der aus Amberg in der Oberpfalz stammende Sebastian Fröschel (1497–1570). Er studierte in Leipzig, wo er den Grad eines Magister artium erlangte. 1522 wurde er zum Priester geweiht. Als Luther, Karlstadt und Eck im Sommer 1519 in Leipzig disputierten, war Fröschel Augenzeuge der Dispuation. 1522 setzte er sein Studium in Wittenberg fort und übernahm Aufgaben als Spitalprediger und Gefängnisseelsorger. Nach einem spektakulären Auftritt mit reformatorischen „Gastpredigten“ in Leipzig (1523) wurde er von Herzog Georg verhört und aus dem Herzogtum Sachsen ausgewiesen. Vorübergehend wirkte er als Prediger in Halle an der Saale (1525), danach zog es ihn erneut nach Wittenberg, wo ihm 1528 eine Stelle als Diakon an der Stadtkirche übertragen wurde (1542 Archidiakon). Bis zu seinem Tod 1570 wirkte er in Wittenberg als Prediger und Seelsorger.
Sein Bucheintrag in der „Dresdner Reformatorenbibel“ ist wegen der Zerstörung der Bibliothek im Frühjahr 1945 nur noch als Fragment erhalten. Dank einer älteren Edition (1876) ist der Text jedoch überliefert. Fröschel wählte einen Text, den er wortgetreu aus der Ausgabe seiner Predigten zum Matthäusevangelium zitierte, die 1559 in Wittenberg erschien – unter dem Titel: „Kurtze Auslegung etlicher Capitel des Evangelisten Matthei [...] gepredigt durch M. Sebastianum Fröschel, Diener des Evangelii zu Wittenberg. Jetziger Zeit gar nützlich zu lesen“. Mit keinem Wort wird angezeigt, dass es sich dabei um Auslegungen Melanchthons handelte. Dagegen hatte Fröschel im Jahr zuvor eine lateinische Ausgabe von Predigten über das Matthäusevangelium drucken lassen, bei der er auf dem Titelblatt angezeigte, dass sie von Melanchthon verfasst und von ihm (Fröschel) in der Wittenberger Stadtkirche vorgetragen wurden. In der Vorrede legte Fröschel ausführlich dar, wie es dazu kam. Über 15 Jahre hatte er immer wieder über das Matthäusevangelium gepredigt und dafür „Zuarbeiten“ Melanchthons erhalten. 1558 publizierte Fröschel die Predigten gegen den Willen Melanchthons. Ein solches Vorgehen steht in konträrem Gegensatz zum heutigen Verständnis von Urheberrecht und „geistigem Eigentum“. Ein „Copyright“ gab es damals jedoch nicht. „Originalität“ und Autorschaft wurden anders bewertet als heute. Melanchthon hatte „selbst-los“ in großer Zahl Reden für Kollegen geschrieben, die von ihnen öffentlich vortragen und unter deren Namen gedruckt wurden – mit seinem Einverständnis! Ihm genügte es, dass im Freundeskreis bekannt war, was aus seiner Feder stammte. Nicht Originalität, sondern die Sache stand im Vordergrund: die Auslegung der Bibel in der bestmöglichen Qualität. Dafür standen in Wittenberg die Namen Luthers und Melanchthons.
Da Fröschel bei seinem Bucheintrag die Quelle nicht anzeigte, erschien er – auch für den Editor 1876 – als ein Text Fröschels. Fröschel wählte die Auslegung des Wortes Jesu, „das Heilige nicht den Hunden und die Perlen nicht vor die Säue zu werfen“ (Matthäus 7, 6). Die Predigthörer werden in drei Gruppen eingeteilt: Etliche seien „Hunde, die die Prediger verfolgen und zerreißen“. Andere seien „Säue, die sich nicht bessern wollen“ und mit ihrer Verachtung Gottes und Unzucht lieber „in ihrem Unflat bleiben“. Nur die wenigsten seien Gottes Kinder, bei denen das Wort Gottes Früchte trägt. Gott aber werde das „kleine Häuflein“ erhalten, für das die Prediger im Amt bleiben müssen.
Der Empfänger dieses Bucheintrages – der Wittenberger Erzschmied Hans Reichknecht – dürfte viele Predigten des von ihm geschätzten Archidiakons gehört haben. Dass er dabei mehr Melanchthon als Fröschel hörte, wird ihm nicht bewusst gewesen sein.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Mscr.Dresd.A.51.a,Bl.18v (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Johann Karl Seidemann: Zur Reformationsgeschichte. Theologische Studien und Kritiken 49 (1876), S. 556-572; hier S. 570 f.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.