Melanchthon und der „Schwarze Tod“ in Wittenberg
Im Jahr 1539 grassierte in Wittenberg der „Schwarze Tod“ – die Pest. Das Auftreten der Pest löste bei den Menschen panikartige Reaktionen aus. Im 14. Jahrhundert hatte die Seuche ein Drittel der Bevölkerung in Europa dahingerafft. Man glaubte, die Pest werde durch verdorbene Luft und faule Ausdünstungen hervorgerufen. Dass der Pestbazillus durch Rattenflöhe übertragen wird, war damals noch nicht bekannt. Im 16. Jahrhunderts trat die Pest in Wittenberg dreizehnmal auf, also etwa alle acht Jahre. Sofort wurden beim Ausbruch der Seuche die Pestkranken im Spital oder in ihren eigenen Häusern isoliert. Die Türen der Häuser von Pestkranken wurden vernagelt. Durch einen schmalen Schlitz wurden ihnen Lebensmittel ins Haus gereicht. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Viele Menschen flohen. Wiederholt zog die Universität in andere Orte um: 1506 nach Herzberg, 1527 und 1536 nach Jena, 1552 nach Torgau. Luther sah in der Pest eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen. Er gehörte zu den wenigen, die in Wittenberg ausharrten und sich der Seelsorge an den Kranken widmeten. In seinen Predigten forderte er die Menschen zum Bleiben und zur Nächstenliebe auf, die erkrankten Angehörigen nicht im Stich zu lassen.
Den vorliegenden Brief schrieb Philipp Melanchthon am 23. Oktober 1539 aus Wittenberg an seinen ehemaligen Schüler Moritz Hausmann, der sich gerade in Torgau aufhielt. Er möge in Torgau bleiben, da in Wittenberg die Pest grassiere. Gerade seien zwei Studenten an der Seuche gestorben, die anscheinend durch ganz Deutschland „wandere“. „Gott möge uns bewahren!“
Drei Tage später – am 26. Oktober – berichtet Luther seinem Freund Wenzeslaus Linck in Nürnberg von der Pest in Wittenberg. Nachdem der Jurist Dr. Sebald Münsterer und seine Frau an der Pest gestorben waren, habe er deren vier verwaiste Kinder in sein Haus aufgenommen. Luther nannte auch die Namen der verstorbenen Studenten Johannes und Christoph Geuder, die aus Nürnberg stammten. Diesen Nachrichten fügte er folgenden Gedanken an: „Es gibt noch eine andere, schlimmere Pest, nämlich die Furcht: sie fliehen nämlich so einer vor dem anderen, dass man weder einen Aderlasser noch einen Diener finden kann. Ich glaube, der Teufel hat die Leute mit der rechten Pestilenz besessen, dass sie so schändlich erschrecken, dass ein Bruder den anderen, der Sohn die Eltern verlässt. Und dies ist ohne Zweifel der Lohn für die Verachtung des Evangeliums und das Wüten der Habsucht.“
Der vorliegende Brief, mit dem Melanchthon vor der Pest in Wittenberg warnte, ist an einer ungewöhnlichen Stelle überliefert: im Stammbuch des aus Westfalen stammenden Heinrich Meibom (1555–1625), der 1583 zum Professor für Dichtkunst und Geschichte in Heidelberg ernannt wurde. 1575 hatte er sich ein Stammbuch mit 262 Blankoseiten für Einträge seiner Freunde binden lassen. Auf dem „Titelblatt“ sind Datum und Ort verzeichnet: 23. Mai 1575 „in aedibus Chemnitii“ (im Haus von Chemnitz). Damit ist das Haus des Braunschweiger Superintendenten Martin Chemnitz (1522–1586) gemeint, dessen Kinder Meibom damals unterrichtete. Es darf angenommen werden, dass Meibom das Melanchthonautograph von Chemnitz als Geschenk für das neue Album erhielt. Er wurde von Meibom unmittelbar nach dem Eintrag von Martin Chemnitz (1. Juni 1575) in das Stammbuch eingeklebt, das mit seinen zahlreichen Einträgen als eine „Autographensammlung“ angesehen werden kann.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Mscr.Dresd.k.292,Bl.5a (zum Digitalisat)
Edition der Quelle: MBW.Texte Bd. 8, S. 565 f. (Nr. 2292)
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.