Der ehemalige Erfurter Augustiner-Eremit Johann Lang zählte zu den Menschen, die schon früh zum nahen Umfeld Martin Luthers gehörten, und er stand ein Leben lang mit ihm in Verbindung. Nach Luthers Lösung aus monastischen Verpflichtungen und Ordensämtern übernahm Lang die Funktion eines Distriktsvikars in Thüringen und Meißen. 1522 trat er schließlich auch aus dem Orden aus und wirkte bis zu seinem Lebensende 1548 als evangelischer Prediger in Erfurt. Lang stand nicht nur mit Luther in engem Kontakt, sondern ab 1519 zählte auch Philipp Melanchthon zu seinen regelmäßigen Korrespondenzpartnern. Zwischen Wittenberg und Erfurt tauschte man sich intensiv über theologische Fragen, gelehrte Editionsprojekte, kirchenpolitische Probleme und allerlei andere Themen aus.
Auch in den Jahren nach Luthers Tod hielt Lang den Kontakt zu Melanchthon. In diese Zeit fielen die Ereignisse des Schmalkaldischen Krieges, die den zeitgeschichtlichen Hintergrund für den vorliegenden Brief bilden. Der Krieg wirft hier bereits seine Schatten: Melanchthon, der zeitlebens auf Ausgleich bedacht und zum Dialog bereit war und dennoch seinen humanistisch-reformatorischen Prinzipien treu geblieben ist, verabscheute, wie wir aus vielen brieflichen Äußerungen wissen, militärische Auseinandersetzungen und er fürchtete sie wegen ihrer unabsehbaren Folgen. Zu den negativen Auswirkungen von Kriegshandlungen gehörten auch ganz konkret die Einschränkungen für den Lehrbetrieb an der Universität Wittenberg. Die Stadt, in der Melanchthon als akademischer Lehrer wirkte, war ja nicht nur Universitätsstandort, sondern auch kursächsische Festung und war somit von militärisch-strategischer Bedeutung. Obwohl im Juli 1546 in Sachsen vom Krieg noch nichts zu spüren war und Melanchthon am Anfang des Briefes an Lang seiner Friedenshoffnung noch Ausdruck verlieh, empfahl er den Studenten, in ihrer Heimat oder an sichereren Orten Schutz zu suchen. Tatsächlich kam im Herbst das universitäre Leben zum Erliegen, viele Studenten und Professoren verließen Wittenberg. Melanchthon fand Zuflucht in Zerbst, später in Nordhausen. Erst nach Monaten kehrte er wieder zurück.
Der Briefbote des vorliegenden Briefes war der Student Josef Kirchner, dem – nach Auskunft des Briefes – Melanchthon die Rückkehr in seine Heimatstadt empfohlen und zugleich ein Stipendium nach Kriegsende in Aussicht gestellt hatte. Dieser Student war der Sohn des Erfurter Predigers Sigismund Kirchner, also eines Kollegen von Johann Lang. Wenige Monate vor Abfassung dieses Briefes hatte Kirchner bei einer Disputation an der Erfurter Universität respondiert, wobei es zum Tumult kam. Grund hierfür war das Thema „De Matrimonio contra legem Pontificiam de coelibatu“ (Die Priesterehe gegen das päpstliche Gesetz vom Zölibat). Dies erregte in Erfurt Unmut, wo noch altgläubige Vertreter in Stadt und Universität Einfluss hatten. Denn der Respondent Kirchner selbst war Sohn eines ehemaligen Priesters und als solcher galt er nach kanonischem Recht als illegitim und nicht würdig zur Erlangung eines akademischen Grades. Die nicht eindeutige Quellenüberlieferung zu den Erfurter Vorgängen scheint nahezulegen, dass Kirchner nicht unmittelbar selbst der vom Prüfungsausschluss Betroffene war, sondern ein Kommilitone. Melanchthon veröffentlichte mit einer Vorrede den Text dieser Disputation (CR 6, 97 f.; 12, 534-539), da sie ein Kernthema reformatorischen Eheverständnisses zum Gegenstand hatte. Tatsächlich erwarb Kirchner, der noch in jungen Jahren bereits 1550 starb, im Frühjahr 1548 in Wittenberg den Magistergrad. Melanchthon stellte ihm hierüber ein lobendes Zeugnis aus (MBW 5052).
Über den konkreten Kriegsverlauf gibt Melanchthon im vorliegenden Brief an Lang nur eher vage Auskunft, denn er kann zu diesem Zeitpunkt lediglich Gerüchte über die Aktivitäten der Schmalkaldischen Bundestruppen weitergeben. Wie so oft in Krisenmomenten fügt Melanchthon ein kurzes Gebet in den Briefschluss ein. Das Schreiben an Lang endet mit einem kurzen Hinweis auf eine beigefügte Neuerscheinung; dabei handelt es sich um Melanchthons ablehnende Stellungnahme gegenüber dem kurz vorher in Trient eröffneten Konzil.
Verfasser: Andreas Gößner
Signatur: Mscr.Dresd.R.97,Bl.7 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: MBW Nr. 4339, MBW Texte Bd. 15, S. 385 f.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.