Standhaft in der Evangeliumspredigt – Melanchthons Empfehlung für einen Freund
Empfehlungsschreiben haben eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht und – ohne im Mittelalter ganz ausgestorben zu sein – schließlich einen festen Platz in der humanistischen Korrespondenz der Frühen Neuzeit einnahm. Empfehlungsbriefe zu schreiben, gehörte auch zum Alltagsgeschäft Philipp Melanchthons. In seiner umfangreichen Korrespondenz, die sich auf ca. 10.000 Stücke beläuft, befinden sich immerhin ungefähr 2.500 Briefe, die einen empfehlenden Charakter tragen. Adressaten waren sowohl Adlige als auch Bürgerliche, sowohl innerhalb der damaligen Reichsgrenzen, als auch in ganz Europa. Der Aufbau eines solchen Briefs konnte einem standardisierten Muster mit bestimmten rhetorischen Elementen folgen. Aber die von Melanchthon genutzte konzeptionelle Bandbreite war groß. Häufig wiederkehrender Bestandteil war die Betonung des Nutzens, den man von der empfohlenen Person für Kirche oder Gemeinwesen erwartete oder auch der Gewinn, der sich für die Person selbst in ihrem anempfohlenen Wirkungsfeld ergeben konnte. Die Aufzählung von Tugenden, vor allem in humanistischen Kontexten, oder die Beschreibung der christlichen bzw. reformatorischen Gesinnung der empfohlenen Person gehörten ebenfalls zum Standard.
Solche und ähnliche Elemente finden sich auch in diesem von Martin Luther, Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon unterzeichneten, aber von Melanchthon verfassten Brief an Johannes Weinlaub und Jakob Stratner. Weinlaub war Rat am Hofe Kurfürst Joachims II. von Brandenburg und übernahm 1540 die Funktionen des Kanzlers und Vorsitzenden der Visitationskommission. Stratner, Hofprediger in Ansbach bei Markgraf Georg von Brandenburg, diente seit 1539 für einige Jahre als Hofprediger Joachims II. und unterstützte Weinlaub bei der Durchführung der Reformation und Visitation des Landes. Danach kehrte er wieder zu seinem alten Dienstherrn, der ihn beurlaubt und ihm zugleich eine ebenso attraktive Position angeboten hatte, in die Markgrafschaft Brandenburg zurück. Diesen beiden empfahl Melanchthon den damals ca. 60-jährigen, aus Österreich stammenden Conrad Cordatus, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken konnte. Der einleitende Satz des Briefs, der schwieriges Exil und lobenswerte Aufnahme der Prediger des Evangeliums erwähnt, spielt darauf an.
Melanchthon stellte eine Art Zeugnis aus, das den Lebenslauf des Cordatus, Doktor der Theologie, in groben Zügen rekapituliert. Die Unterzeichneten traten dafür ein, dass er in der kirchlichen Lehre wohl gebildet sei, das Evangelium rein verkündige, ein frommes Verhalten praktiziere und eine einzigartige Glaubensfestigkeit habe. Denn trotz seiner Inhaftierung in Ungarn, wo er im reformatorischen Sinne gepredigt hatte, blieb er bei seiner Überzeugung. Nicht alle Lebensstationen kamen zur Sprache, wie etwa sein Studium in Wittenberg, wo er Tischreden Luthers notierte; manche wurden nur angedeutet, wie sein Lehramt am Gymnasium St. Egidien in Nürnberg und schließlich an der Akademie in Liegnitz in Schlesien oder sein Pfarramt in Niemegk. Verschwiegen wurde die Kontroverse, die Cordatus 1536 mit Melanchthon ausgetragen hatte, als er sich kritisch über dessen Neubearbeitung der Loci Communes von 1535 äußerte. Stein des Anstoßes war wohl Melanchthons Lehre von der Wirkkraft des Gesetzes und der daraus hervorgehenden Buße gewesen. Dass alle drei Wittenberger Reformatoren dies übergehen und Cordatus den Visitatoren in Brandenburg für ihre Aufgabe nachdrücklich empfehlen konnten, ist nicht nur dem Genre geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass man aufgekommene Divergenzen zu neutralisieren vermocht hatte, so dass Spaltungen vermieden wurden und Freundschaften nicht zerbrachen. Cordatus wurde 1540 Superintendent in Stendal. Er starb am 25. März 1546, fünf Wochen später als Luther.
Verfasserin: Irene Dingel
Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.91-94 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: WAB 9, S. 243-246 (Nr. 3540), MBW Nr. 2529, MBW Texte Bd. 9.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.