An der Bibliothek des Breslauer Reformators Johannes Hess (1490–1547) lässt sich exemplarisch die hohe Wertschätzung der Reformatoren für das Medium Buch erkennen.
Der 1490 in Nürnberg geborene Johannes Hess studierte in Leipzig und Wittenberg Freie Künste und Jurisprudenz. Im Alter von 23 Jahren trat er als Sekretär in den Dienst des Breslauer Bischofs und wurde nach der Rückkehr von einem Studium der Theologie in Bologna im Jahr 1520 ordiniert. In Breslau begann Hess evangelisch zu predigen und behutsam auf Veränderungen im Breslauer Schul- und Sozialwesen hinzuarbeiten. Einen Rückhalt für seine klare reformatorische Haltung besaß Hess im freundschaftlichen Kontakt zu Martin Luther und deutschen Humanisten, darunter besonders Philipp Melanchthon. Aus einem Gutachten Melanchthons aus dem Jahr 1539 an Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen mit Vorschlägen für die Besetzung der Theologischen Professur in Leipzig ist bekannt, dass der Wittenberger neben anderen Personen den von ihm hochgeschätzten Hess vorgeschlagen hatte.
Die Bibliothek des Johannes Hess war unter Zeitgenossen bekannt und geschätzt. Aus Anlass des Weggangs zweier Freunde gen Breslau ließ Georg Aemylius 1537 in Wittenberg einen „offenen Brief“ drucken und gab darin ausdrücklich einen Hinweis auf die Büchersammlung. Deren ursprünglicher Umfang ist nicht bekannt. Ein großer Teil kam jedoch nach Erbteilungen 1610 in das Schlesische Fürstentum Öls und von dort 1884 mit der gesamten Schlossbibliothek durch Erbschaft an den sächsischen König Albert und somit nach Dresden. Mit Ausnahme der Dubletten, deren Versteigerung ein Leipziger Auktionshaus vornahm, wurde die 30.000 Bände umfassende Sammlung in die Königliche Öffentliche Bibliothek integriert. Zahlreiche Bände tragen ein kreisrundes Supralibros, in dem das Wappentier der Familie Hess von der Umschrift „ARMA HESSICA 1525“ umrandet wird.
Die Bibliothek enthält einen Beleg für die Freundschaft zwischen Philipp Melanchthon und Johannes Hess. Eine 1541 erstmals in Straßburg erschienene Zusammenstellung verschiedener Reden Melanchthons hat der Wittenberger mit einer eigenhändigen Widmung für Johannes Hess versehen: „viro optimo et pietate ac doctrina eximia praedito D. Johanni Hesso Doctori dedit. Philippus“ (Gewidmet dem ausgezeichneten, sowohl mit Frömmigkeit als auch mit außerordentlicher Gelehrsamkeit begabten Herrn Doktor Johann Hess. Philippus).
Neben dem Namenszug des Breslauer Reformators sind im Inneren des Bandes zahlreiche Marginalien aus der Feder von Johannes Hess erkennbar. Auffällig ist, dass der Beschenkte den Eintrag seines Namens im Buch mit dem Zusatz „Ratisbone D D“ (in Regensburg als Geschenk übergeben) versehen hat. Wahrscheinlich übergab Melanchthon, der sich 1541 aus Anlass des dort gehaltenen Religionsgespräches einige Monate in Regensburg aufhielt, dem Freund das Buch bei dieser Gelegenheit. Melanchthon erinnerte sich im Januar 1547, kurz nach dem Tod von Johannes Hess, in einem tröstenden Brief an Johannes Aurifaber, den Schwiegersohn des Verstorbenen, an die gemeinsamen Gespräche in Regensburg.
Verfasser: Frank Aurich
Signatur: Lit.Lat.rec.B.128.a,misc.1 (zum Exemplar)
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.