Gebratener Salzhering mit Erbsmus und Honigsenf
Wenzeslaus Linck (1483–1547), Theologieprofessor und Prior des Wittenberger Augustinereremitenklosters, bestätigte am 14. Dezember 1512 den Empfang von sechs Gulden aus der kurfürstlichen Kasse für den Kauf von einer Tonne Heringen für den Klosterkonvent. Die Quittung gewährt einen Einblick in die Wirtschaftsführung und in den Alltag des Wittenberger Klosters, dem zu dieser Zeit Martin Luther als Subprior angehörte. Das Kloster war auf Lebensmittelspenden angewiesen. Dazu leistete wenige Tage vor Weihnachten auch der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise einen Beitrag.
Der aus Colditz stammende Wenzeslaus Linck wurde 1498 an der Universität Leipzig immatrikuliert, brach jedoch das Studium ab, um 1501/02 in den Konvent der Augustinereremiten in Waldheim einzutreten, der zur Reformkongregation gehörte, die sich einer strengen Observanz der Ordensregeln verpflichtet fühlte. 1503 wurde Linck zum Ordensstudium nach Wittenberg entsandt, wo ihn der Generalvikar der observanten Augustinereremiten, Johann von Staupitz (ca. 1465–1524), förderte, der als Theologieprofessor an der 1502 gegründeten Universität Wittenberg wirkte. Linck absolvierte rasch die Graduierungen seines philosophischen und theologischen Studiums vom Baccalaureus artium (1504) bis zur Promotion zum Doktor der Theologie (1511). In den Jahren von 1511 bis zu seinem Wechsel in das Augustinereremitenkloster München (1516) war er Prior des Wittenberger Klosters. In den Jahren von 1512 bis 1515 wirkte er als Distriktsvikar für die sächsisch-thüringischen Konvente der Augustinereremiten. In den Jahren 1512/13 und 1514/15 war er Dekan der Theologischen Fakultät Wittenberg. In dieser Zeit entstand eine enge Freundschaft mit Luther. Während Lincks Wirken als reformatorischer Prediger in Altenburg (1522) erregte die Inszenierung seiner Hochzeit (1523) Aufsehen, zu der auch die Wittenberger Reformatoren eingeladen waren. Linck war der erste Mönch, der regulär heiratete.
Die erhaltene Quittung ist insofern bedeutsam, als aus der frühen Zeit des Wittenberger Augustinerklosters nur wenige Dokumente von der Hand Lincks und von Luther erhalten sind. Der vom Kurfürsten finanzierte Kauf von Heringen illustriert den Alltag des Klosters. In der Zeit des Advent waren gebratene Heringe eine geschätzte Fastenspeise. Heringe wurde damals im gesalzenen Zustand angeboten. Dass bei Ausgrabungen in Luthers Elternhaus in Mansfeld unter 1.300 bestimmbaren Fischknochen allein 473 Heringe nachgewiesen wurden, zeigt an, dass Hering zu den bevorzugten Speisen gehörte. Gebratener Salzhering mit Erbsmus und Honigsenf soll Luthers Lieblingsspeise gewesen sein. In einem Brief an Jakob Propst in Bremen (21. Februar 1539) beklagte sich Luther in einem scherzhaft gemeinten „Postscriptum“ über den Mangel an Fischen in der Fastenzeit. „Hier [in Wittenberg] zweifeln wir, ob Euer Meer [die Nordsee] ausgetrocknet sei!“ Noch nie habe es weniger Fische gegeben als jetzt – an dieser Stelle nennt Luther unter mehreren Fischsorten auch den Hering, den er offenbar gern als „freiwillige Fastenspeise“ auf seinem Tisch sah, obwohl er theologisch die Freiheit von den Fastenregeln längst proklamiert hatte. Von Heringen ist noch an anderen Stellen in Lutherbiografien die Rede. Dass Katharina von Bora in der Nacht vom 6. zum 7. April 1523 mit weiteren elf Nonnen „in Heringstonnen“ aus dem Kloster Marienthron entführt worden sei, ist eine Legendenbildung, die jedoch darin einen wahren Kern hat, dass der Torgauer Großhändler Leonhard Koppe das Kloster Marienthron regelmäßig mit Waren – darunter auch Fisch – belieferte. Die Aussage eines Chronisten, Koppe habe die Nonnen „wie Heringstonnen“ aus dem Koster hinausgefahren, wurde im Zuge der Legendenbildung geändert in die Version: „in Heringstonnen“.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.26 (unten) (zum Digitalisat)
Edition der Quelle: Wilhelm Reindell: Doktor Wenzeslaus Linck aus Colditz, 1483-1547. Teil 1: Bis zur reformatorischen Thätigkeit in Altenburg. Mit Bildnis und einem Anhang enthaltend die zugehörigen Documenta Linckiana 1485 – 1522. Marburg 1892, S. 249 (Nr. 3).
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.