"An die gantze geistlickeit zu Augsburg"
Der Augsburger Reichstag von 1530 war ein Schlüsselereignis der Reformationsgeschichte. Luther konnte die Versammlung, auf der Kaiser Karl V. den evangelischen Ständen die Gelegenheit bot, ihren Glauben öffentlich vorzustellen, nicht persönlich besuchen. Als Gebannter und Geächteter musste er auf der Veste Coburg zurückbleiben, wo seine „Vermahnung an die Geistlichen“ zwischen Ende April und Anfang Mai 1530 entstanden ist. Während Philipp Melanchthon am Reichstagsort agierte, blieb Luther nur der Versuch, durch Briefe und Druckschriften auf den Gang der Augsburger Verhandlungen einzuwirken. Die Druckausgabe der „Vermahnung“ erschien bereits Ende Mai bei Hans Lufft in Wittenberg.
Luther wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, um sich an die in Augsburg versammelten geistlichen Reichsfürsten zu wenden. Doch auf Ausgleich gestimmt war sein Mahnschreiben nicht. Vielmehr hielt er den Bischöfen ihr Verhalten in großer Schärfe vor, erinnerte an die schlimmen Zustände, in die die Kirche „vor unserem Evangelium“ gefallen war: Ablass, falsche Buße, Kauf-, Winkel- und Opfermessen, Wallfahrten, Zwangszölibat und vieles andere werden angeführt. Für diese Missstände, die am Ende der Schrift in einer langen Liste noch einmal übersichtlich zusammengestellt sind, macht er die Bischöfe verantwortlich, die ihr Amt nicht in der rechten Weise ausüben und damit Gott erzürnen. Doch Reue kann er bei ihnen nicht erkennen. Wenn sie keine Buße tun, so Luthers Drohung, will er ihnen keine Ruhe lassen, bis sie sich bessern oder zugrunde gehen.
Der zentrale Abschnitt des Mahnschreibens betrifft das bischöfliche Amt. Wenn die Bischöfe nicht in der Lage oder willens sind, das Evangelium selbst zu verbreiten, dann sollen sie wenigstens nicht verhindern, dass andere dies tun. Auf die freie Predigt des Evangeliums kommt es Luther an. Als Gegenleistung für das Ende der Verfolgung evangelischer Prediger und für die Ermöglichung der freien Evangeliumsverkündigung auch in geistlichen Territorien macht er den Vorschlag, dass man die Bischöfe bleiben lassen werde, was sie sind, nämlich Fürsten und Herren. Als solche sollten sie künftig auch wieder bischöflichen Zwang, gedacht war an ein Oberaufsichtsrecht über die evangelischen Prediger, ausüben dürfen.
Die Reichsbischöfe und Prälaten waren Doppelpersonen: Fürsten im Hochstift, Hirten in der Diözese. Einige Jahre zuvor hatte Luther dem Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen geraten, die Verbindung von geistlichen und weltlichen Aufgaben zu lösen, sich zu verheiraten und sein Land in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln. Luthers Vorschlag von 1530 wich davon ab. Die Bischöfe sollten geistlich-weltliche Doppelpersonen bleiben, jedoch Seelsorge und Wortverkündigung an evangelische Prediger delegieren. Diese Lösung hätte den Vorteil gehabt, dass die Hochstiftsverfassung unangetastet geblieben wäre, ja dass sich die Bischöfe nicht einmal persönlich der Reformation hätten anschließen müssen. Die Verkündigung des Evangeliums wäre dennoch gewährleistet gewesen. In Luthers Nachdenken über das Bischofsamt blieb dieser pragmatische Vorschlag, der offenbar der aktuellen Situation geschuldet war und bald wieder durch Überlegungen zur Trennung von geistlicher und weltlicher Seite abgelöst wurde, die Ausnahme. Ob er sich hätte realisieren lassen, steht dahin. Eine Reaktion von Seiten der Bischöfe gab es nicht.
Verfasser: Armin Kohnle
Signatur: Mscr.Dresd.A.155, Bl.1-40 (zum vollständigen Digitalisat)
Edition der Quelle: WA 30 II, S. 237-356 (Text der Handschrift und der Druckversion S. 268-356).
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.