Ein Buchgeschenk aus Genf
Als der für seine Gelehrsamkeit berühmte Pariser Buchdrucker Robert Estienne (Robert Stephan, um 1499/1503–1559) als Refugié nach Genf emigrierte und hier zum Calvinismus übertrat, schrieb Johannes Calvin (1509–1564) am 10. November 1550 an einen Freund: „Robert Estienne ist nun ganz unser. Bald werden wir hören, welches Gewitter seine Abreise in Paris verursacht. Die Dunkel-Philosophen werden gewiss wütend sein.“ Mit den „Dunkel-Philosophen“ waren die Theologen der Sorbonne gemeint, die den Drucker und Verleger Estienne durch die Bücherzensur permanent in seinem Wirken behinderten. Seit Estienne die Druckerei seines Vaters Henry Estienne übernommen hatte, gab es für ihn immer wieder Konflikte mit der Zensur, die in Paris streng geregelt war. Vor allem seine Bibeldrucke wurden von den Zensoren der Sorbonne wiederholt beanstandet. 1523 richtete sich die Zensur gegen die von Estienne herausgegebene griechische Ausgabe des Neuen Testaments. Als Estienne 1528 eine verbesserte lateinische Bibel veröffentlichte, die er in mühevoller Detailarbeit und mit Verwendung historischer Bibelhandschriften hergestellt hatte, wurden auch in diesem Fall die Zensoren der Sorbonne aktiv. 1547 erwirkte die Sorbonne beim König ein Verbot der Bibel. Die Verschärfung der Bücherzensur führte dazu, dass Estienne das Land verließ. In Genf baute er sich eine neue Existenz auf und setzte hier mit Erfolg sein Druck- und Verlagsgeschäft fort. In Calvin hatte er einen Freund gefunden, dessen Publikationen jetzt auch mit der eindrucksvollen Druckermarke von Estienne erschienen – ein Olivenbaum mit der Inschrift „Noli altum sapere“ (Sei nicht hochmütig!), ein Zitat aus dem Olivenbaum-Gleichnis des Paulus (Römer 11, 20). Der gelehrte Drucker griff auch selbst zur Feder und verfasste eine Abrechnung mit den Pariser Theologen, die er am 23. Juni 1552 in lateinischer Sprache herausgab: „Ad censuras Theologorum Parisiensium, quibus Biblia à Roberto Stephano typographo Regio excusa calumniosè notarunt, eiusdem Roberti Stephani responsio“ (Antwort von Robert Stephan auf die Zensuren der Pariser Theologen, mit denen sie die von dem Königlichen Buchdrucker Robert Stephan herausgegebene Bibel verurteilen).
In der SLUB Dresden befindet sich ein Exemplar dieser Schrift mit einem Geschenkvermerk von Johannes Calvin auf der Rückseite des Titelblattes: „D. Iusto Ionae Ioannes Caluinus amicitiae arram d[ono] d[edit]“ (Dem Herrn Justus Jonas hat dies als ein Zeichen der Freundschaft als Geschenk übergeben Johannes Calvin). Welcher Justus Jonas ist hier gemeint? Der erste Gedanke, dass es sich um Luthers Freund Justus Jonas (1493–1555) handeln könnte, der in Wittenberg als Propst und Theologieprofessor und später als Reformator in Halle wirkte, ist unwahrscheinlich. Im Register seines Briefwechsels sind weder Genf noch Calvin zu finden. Dagegen ist von seinem Sohn Justus Jonas d.J. (1525–1567) bezeugt, dass er mit Calvin korrespondierte. Am 17. September 1556 bedankte sich Calvin mit einem Brief an Jonas d.J. für dessen Angebot, Calvins Schriften gegen den Hamburger Lutheraner Joachim Westphal (1510–1574) zur Frage des Abendmahles ins Deutsche zu übersetzen. Im Postscriptum des Briefes richtet Calvin an Jonas d.J. Grüße aus von Robert Estienne. Aufgrund dieser Korrespondenz darf vermutet werden, dass Calvin das Buch von Estienne Justus Jonas dem Jüngeren dedizierte. Calvin schrieb in den Druck nicht nur die Dedikation, sondern er machte sich die Mühe, mit eigener Hand einige Druckfehler in dem Band zu korrigieren. Das Buchgeschenk sollte keinen einzigen Fehler enthalten!
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: S.B.1862,Vorsatzblatt (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.