Autograph der Woche Ausgabe 81 von 95 |

Druckmanuskript der Schrift „An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen. Vermahnung“, 1539.

Signatur: Mscr.Dresd.A.155

Gegen Geizwänste, Götzendiener und Wucherer

Martin Luther war in erster Linie Theologe. Als solcher hat er die Reformation entfacht und ihr mit seinen Schriften, Predigten und Briefen Bestand verliehen. Darüber hinaus hat er sich zu vielen Problemen geäußert, die ihn im Rahmen seiner reformatorischen Bestrebungen interessierten oder die andere an ihn herantrugen. Eines der Themen, mit denen sich Luther immer wieder beschäftigte, waren die von Geldgier und Wucher geprägten Kapitalgeschäfte. Das Thema klingt bereits in den frühen Dekalog-Predigten an, in denen Luther mit Blick auf das 7. Gebot in der „avaritia“, der Gier nach fremdem Hab und Gut, die „Wurzel allen Übels“ sieht. Ausführlich behandelt hat er es sodann in den zwei „Wuchersermonen“ von Ende 1519 bzw. Anfang 1520 sowie in der 1524 erschienenen Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“. In ihnen fordert Luther – ausgehend vom 7. Gebot und den Prinzipien der Bergpredigt – eine Einhegung des Zinskaufs und der wegen des kanonischen Zinsverbots untersagten Wuchergeschäfte, derer sich vor allem die großen Handelsfirmen bedienten, hält aber im Hinblick auf die Wirtschaftspraxis einen Zins von vier bis sechs Prozent für vertretbar.

1539, auf dem Höhepunkt einer seit 1538 andauernden Teuerung, kommt Luther in der „Vermahnung“ an die Pfarrer gegen den Wucher zu predigen, auf das Thema zurück. Diese schwere Teuerung, für die außer einer Dürre und Mäuseplage vor allem der spekulative Getreideaufkauf und -export („Fürkauf“) adliger Kreise ursächlich war, hatte in Wittenberg und Umgebung dazu geführt, dass Brot knapp war und sich Hunger breit machte. Auf Abhilfe sinnend, appellierte Luther am 7. April 1539 an den Rat, endlich Korn bereitzustellen, musste aber erfahren, dass die Schuld am Kornmangel bei den fremden Kornspekulanten liege. Luther schrieb daher am 9. April an den Kurfürsten und bat ihn, den Adligen, die mit dem Getreide „so unverschämt wuchern“, Einhalt zu gebieten. Diesem Brief folgte am 13. April eine „sehr harte, scharfe Predigt“, in der er „den Geiz der Wucherer“ als gottlos und diese als Räuber und Mörder brandmarkte (vgl. WA TR 4, Nr. 4496, S. 345).

Bald darauf dürfte Luther, wie die Rückbezüge auf die „jetzige“ Teuerung nahelegen, mit der Niederschrift der „Vermahnung“ begonnen haben, deren Originalmanuskript vollständig erhalten ist und somit subtile Einblicke in seine Arbeitsweise gewährt. In ihr beschreibt er den Wucher in seinen diversen Erscheinungsformen theologisch als Ausfluss der Sünde. Zum andern fordert er die Pfarrer dazu auf, in den Predigten das Treiben der Geizwänste und Wucherer anzuprangern, und, falls diese nicht zur Umkehr bereit seien, ihnen die Absolution, ja selbst die Sterbesakramente, zu verweigern. Wie früher lehnt Luther Kreditgeschäfte nicht generell ab, sondern plädiert im Interesse des Handels und ärmerer Leute, die ohne ihre Zinseinkünfte nicht leben könnten („Notwucherlein“), für einen Zinssatz von maximal fünf Prozent. Ferner stellt er erneut den zwar umstrittenen, aber alttestamentlichen Naturalzehnten auf den Grundbesitz als Alternative zum Zins- bzw. Rentenkauf dar, da er vom Ernteertrag abhänge und den Zehntpflichtigen in schlechten Jahren weniger belaste als ein fester Zins.

Die „Vermahnung“ gehört zu Luthers erfolgreichen Schriften. Josef Klug hat sie gedruckt und Weihnachten 1539 in den Handel gebracht, wie Melanchthons Brief vom 23.12.1539 an Jakob Schenck in Weimar belegt, dem ein Exemplar beilag. Dank reger Nachfrage konnte Klug die Schrift 1540 sogar noch zweimal auflegen. Zeitgleich zu diesen Ausgaben erschien in Oberdeutschland bei Johann Petreius in Nürnberg ein weiterer Nachdruck, das heißt in jenem Gebiet, in dem mit den Familienfirmen der Fugger und Welser, der Imhof und Hochstätter jene Monopolgesellschaften ansässig waren, gegen deren ruinöse und Gottes Gebote missachtende Geschäftspraktiken Luther zeitlebens angeschrieben hatte. Für Erfolg und anhaltende Bedeutung der Schrift spricht ferner deren spätere Übersetzung ins Lateinische durch Johannes Freder. 1554 brachte sie Peter Braubach in Frankfurt/M. heraus.

Verfasser: Stefan Oehmig

Signatur: Mscr.Dresd.A.155,Bl.94r–138v (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: WA 51, S. (325) 331–424.

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.