Autograph der Woche Ausgabe 14 von 95 |

Der CI. Psalm, ausgelegt durch Martin Luther (1534).

Signatur: Mscr.Dresd.A.173,Bl.34 ff.

Demütige Politikberatung

Wie bringt man seinen Landesherrn politisch auf Linie, wenn man von dessen Politik in hohem Maß abhängig ist? Im Jahr 1532 wurde Johann Friedrich I. Kurfürst von Sachsen. Luther kannte den neuen Landesherrn seit dessen Jugendzeit; er hatte ihm – (tisch-)gesprächsweise – schon mal einen Mangel an Frömmigkeit und politischem Geschick vorgeworfen. Jetzt war er besorgt, dass der neue Kurfürst sich stärker an den Interessen des Adels bei Hofe orientieren und sein eigener Einfluss auf die kursächsische Politik schwinden könne. Ein direkter Rat war nicht möglich: Luther weist bescheiden darauf hin, dass er selbst doch „zu hofe unerfaren“ sei und gar nicht wisse, „was fur tücke und list da regirt“. Er kleidete seine Empfehlung daher in die Auslegung des 101. Psalms: Das fiel in seine Zuständigkeit. Der Psalm, den er als Regentenspiegel verstand, richte sich an „die hohen stende, da man Hof und hoffgesinde mus halten. Darumb David, der ein König war und hoffgesinde halten muste, sich selbs zum exempel setzt, wie ein fromer König oder Furst soll auff sein gesinde sehen.“ Auf diesem Umweg konnte der Theologieprofessor seinem Landesherrn ohne große Umschweife mitteilen, welche Politik er – nein: Gott! – von ihm erwarte.

Das Wichtigste stellt Luther an den Anfang: Demut. Klare, vernünftige Überlegungen und gründliche  Kenntnisse (auch theologische!) sind zwar für die Planung guter Politik unerlässlich, führen aber in die Irre, wenn sie „vermessen“, also ohne Demut eingesetzt werden. Statt dessen müsse man „mit Gottes furcht und demütigem, ernsten gebet solchen rat und recht anfahen.“ Wie eine solche Verbindung von  demütigem Gebet und selbstbewusster Vernunft aussieht, zeigt Luther dann an sich selbst: „Ich mus … ein wenig rhumen mein exempel.“ Er wisse zwar, dass er „wider das Bapstum kostlich recht vnd gute sache habe“; auch, dass er die Heilige Schrift sehr viel besser verstehe, „denn die Papisten ewiglich lernen konnen (so lange sie mir feind sind).“ Aber dieses Recht nehme er sich gar nicht heraus. Statt dessen gehe er „ynn mein kemerlin / bete oder seufftze wol sonst / da mans nicht merckt / und werffe meinem herr Gott die schlussel fur die fusse vnd sage / Herr / die sache ist dein und nicht mein / on mich hastu sie bis her von anfang der wellt erhalten / on mich kanstu sie wol bis ynn ewigkeit erhalten.“

Auch wenn man die fromme Haltung anerkennen kann: So richtig demütig klingt dieses Selbstlob nicht. Vielleicht ist Luther auch aufgegangen, dass er mit seinem Beten und Seufzen im Kämmerlein „da mans nicht merckt“ nicht gut öffentlich hausieren kann. Jedenfalls hat er diesen ganzen Absatz vor der Publikation gestrichen. Er ist nur in diesem autographen Entwurf erhalten.

Aber auch ohne diesen Abschnitt ist Luthers Empfehlung für den Kurfürsten deutlich, direkt und derb. Ob er sein Ziel damit erreicht hat, bleibt offen. Einerseits war man bei Hof „not amused“ über Luthers Einmischung; er selbst teilt wenig später mit, er sei „vom Hof verachtet und ausgeschlossen“ (zeigt sich aber gleichzeitig in einem Brief an Justus Jonas vom 1. September 1535 erleichtert darüber, keine Regierungsverantwortung zu tragen: „incipio enim nunc unice gaudere, nos ab aula contemni et excludi, et interpretor hoc favente Deo fieri, ne istis turbis misceamur, de quibus forte olim ingemiscere cogemur.“, WAB 7, S. 246,6 ff., Nr. 2232). Andererseits wäre dem demütigen Autor das Lob des Kurfürsten auch verdächtig gewesen. Am Ende schreibt er, er hoffe zwar, seine Arbeit gut gemacht zu haben, schränkt aber ein: „Gut heisse ich, wo es wenig leuten wol gefallen und viele leute ubel verdriessen wird.“ Das hat er, in aller Bescheidenheit, erreicht und dafür aus seinem Umfeld viel Lob erhalten: Melanchthon hat die Schrift empfohlen, der Wittenberger Kollege Caspar Cruciger hielt „den schönen hofepsalm“ gar für die gelehrteste und weiseste Schrift in deutscher Sprache (Mathesius 1898, S.141).

Verfasser: Matthias Klinghardt

Signatur: Mscr.Dresd.A.173,Bl.35-36 (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: WA 53, 659-678.

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