Ein Wahlspruch aus der hebräischen Bibel
Wo überall im fotomechanischen Nachdruck des von Franz Schnorr von Carolsfeld herausgegebenen Kataloges der Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden (1882–1923) bei den Signaturen das Kürzel „sb“ handschriftlich hinzugefügt wurde, bedeutet das nichts Gutes: schwer beschädigt! Schwer beschädigt wurde durch den Einfluss von Wasser die „Dresdner Reformatorenbibel“, die eine Sammlung von Autographen und Porträts der Wittenberger Reformatoren enthält, darunter auch eine handkolorierte Federzeichnung mit dem Porträt des Wittenberger Stadtpfarrers und Theologieprofessors Paul Eber (Bl. 16v), die aufgrund der Feuchtigkeit auf die nachfolgende Seite mit dem Bucheintrag Ebers durchschlug. Dadurch entstand eine „Grafik“ besonderer Art. Das Bildnis wirkt wie ein Stempel in dem Bucheintrag, der von dem Schreiber kalligraphisch gestaltet wurde. Mit übergroßen hebräischen Buchstaben malte Eber, der in Wittenberg 1557 Professor für Hebräisch wurde, seinen Wahlspruch Psalm 119, 105 in die Bibel, die ihm von dem Wittenberger Erzschmied Hans Reichknecht mit der Bitte um ein Autograph gereicht wurde. Damit dokumentierte Eber seinen Bildungsanspruch, die Bibel in den Ursprachen zu lesen und auszulegen. Für den Laien fügte er die deutsche Übersetzung hinzu: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“
Die lateinische Version von Ebers Wahlspruch findet sich als Inschrift in dem Buch, das Eber in seinem Porträt aufgeschlagen in den Händen hält. Von seinem Wahlspruch ließ er zudem eine Allegorie als „Symbolum“ drucken, das in der „Reformatorenbibel“ an anderer Stelle zu finden ist (Bl. 29r). Die Darstellung zeigt das Wort Gottes in der Gestalt einer Frau, die in beiden Armen jeweils einen brennenden Leuchter trägt. In der Umschrift wird die lateinische Version des Wahlspruches zitiert, der die Autorität des Wortes Gottes für das Leben ausdrückt und zugleich das reformatorische Schriftprinzip (sola scriptura) zur Geltung bringt. Wohl im Blick auf den Besitzer der Bibel und Empfänger des Autographs fügte Eber in seinem hebräischen Eintrag noch einen zweiten Vers aus Psalm 119 mit Übersetzung hinzu: „Handle mit deinem Knecht nach deiner Wahrheit und lehre mich deine Rechte“ (Psalm 119, 124). Die Zitate können als Bekenntnis und Selbstaussage des Wittenberger Professors und Stadtpfarrers gelesen werden. Andererseits vermittelte Eber mit diesem Eintrag auch dem Leser und Besitzer der Bibel ein biblisches Motto, das die Bedeutung des Wortes Gottes für die Lebenswege und das Heil der Menschen herausstellt.
Als Eber diesen Eintrag im Juni 1562 für den Wittenberger Schmied Hans Reichknecht schrieb, studierte dessen Sohn Johannes bereits im vierten Semester an der Universität Wittenberg. Es ist davon auszugehen, dass er bei Eber Vorlesungen über das Alte Testament hörte, denen der hebräische Urtext zugrunde gelegt wurde. Reichknecht gehörte zu der Generation von Studenten, die Luther und Melanchthon nicht mehr als Lehrer erlebt hatten. Die Lehren der Reformatoren wurden ihnen jedoch über deren Schüler vermittelt, zu denen Paul Eber gehörte. Er dürfte Johannes Reichknecht, der 1574 Pfarrer wurde, als theologischer Lehrer maßgeblich geprägt haben. Möglicherweise war es der Student Reichknecht, der seinen Professor um ein Autograph für die Bibel seines Vaters bat. Der Eintrag hatte dann zweifellos auch den Effekt, dass er zum Studium der hebräischen Ursprache des Alten Testaments motivieren sollte.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: Mscr.Dresd.A.51.a,Bl.17r (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.