Um 1541 kam in Wittenberg der Brauch auf, die Reformatoren um handschriftliche Einträge in Exemplare der in Wittenberg gedruckten Lutherbibel zu bitten. Von Luthers Hand ist eine große Zahl solcher Bucheinträge überliefert, die von Luthers Schüler Georg Rörer (1492–1557) gesammelt und 1547 gedruckt wurden: „Vieler schönen Sprüche aus Göttlicher Schrift auslegung, daraus Lehre und Trost zu nehmen, welche der ehrwürdige Herr Doctor Martinus Luther seliger vielen in ihre Biblien geschrieben“.
Bei den Bucheinträgen handelt es sich um eine Gattung eigener Art. Luther ließ in der Regel einem Bibelzitat eine kurze Auslegung des Bibelwortes folgen – mit Datum und Unterschrift. Luther wählte für diesen Zweck Bibelzitate, die zum Studium der Bibel motivieren und die Bedeutung der Heiligen Schrift für das Leben herausstellen sollten. Das trifft auch auf den hier vorgestellten Bucheintrag zu, den Luther 1545 in einen Wittenberger Bibeldruck von 1541 schrieb. Als Bibelzitat wählte er zwei Verse aus dem 2. Timotheusbrief: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung der Gerechtigkeit, dass ein Mensch Gottes volkommen sei zu allem guten Werk geschickt.“ [2. Timotheus 3, 16 f.]. Bei seiner paraphrasierenden Auslegung wiederholt Luther die Leitbegriffe des Zitates: „Man muss alle Zeit im Volk Gottes haben solch Amt, dass da lehre diejenigen, so unwissend sind, und strafe die Widerwärtigen als [wie] die Ketzer etc. und bessere, wo ein Mangel und Feyl [Fehler, Irrtum] sich zuträgt, und einen züchtigen Wandel erhalte in äußerlichen Gebärden und Sitten. Doch dass es nicht in fal [falschem] Schein und Gleißnerei zugehe, sondern in Gerechtigkeit und rechtschaffenem Wesen. Hie zu dienet allein die heilige Schrift. Menschen Lehre ist kein nütze. 1545. Martinus LutheR D[octor]“.
Beim Schreiben dieses Eintrages war Luther bemüht, den Text grafisch ansprechend und in Sinnabschnitte gegliedert „schön“ zu gestalten. Er schrieb den Eintrag für Bartholomäus Schönborn (1530–1585), der 1543 im Alter von 12 (!) Jahren an der Universität Wittenberg immatrikuliert worden war und später an der Philosophischen Fakultät Wittenberg als Professor für Mathematik, Griechisch und Physik und ab 1577 als Professor für Medizin wirkte. Einer handschriftlichen Notiz Schönborns (1544) ist zu entnehmen, dass er die Bibel als ein Geschenk des Fürsten Georg von Anhalt (1507–1553) erhalten hatte. Eingeklebt wurde in das Buch ein kolorierter Porträtholzschnitt Luthers aus der Cranachwerkstatt (1546). Aufgrund einer weiteren handschriftlichen Notiz darf angenommen werden, dass die Bibel vor der Schenkung an Schönborn dem Fürsten Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492–1566) gehörte, der in Bernburg residierte und sich schon früh (1521) zur Reformation Luthers bekannte.
Verfasser: Hans-Peter Hasse
Signatur: S.B.4
Edition der Quelle: WA 48, 217 (Nr. 289)
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.