Ratschlag für einen Bedrängten
Im Zuge der Reformation gerieten die Brüder Heinrich Hildebrand (1497–1557) und Heinrich Abraham (1504–1568) von Einsiedel in eine prekäre Situation. Mit Rittersitzen im albertinischen Gnandstein und im ernestinischen Wolftitz besaßen sie umfangreiche Güter sowohl im lutherischen Kurfürstentum als auch im altgläubigen Herzogtum Sachsen und mussten zwangsläufig zwischen den religiösen und herrschaftlichen Fronten lavieren.
Beide Brüder waren frühe und entschiedene Anhänger Luthers; gemeinsam wohnten sie der Leipziger Disputation von 1519 bei. Heinrich Abraham rühmte sich später, dass er auf dem legendären Wormser Reichstag von 1521 als Dritter neben Luther gestanden hätte; und 1522 traf Heinrich Hildebrand in Borna auf Luther, den er um einen geeigneten Prediger bat. Ihre bei den Ernestinern wohlgelittene religiöse Überzeugung brachte die Einsiedels in heftige Konflikte mit dem albertinischen Landesherrn, Herzog Georg dem Bärtigen. Schon 1523 hatte Herzog Georg die förmliche Belehnung der beiden Brüder herausgezögert, weil er keine „Ketzer“ als Lehnsleute wollte. Als die Einsiedels nicht dagegen einschritten, dass ihr Pfarrer zu Gnandstein heiratete, eskalierte der Konflikt. Ende 1527 befahlt der Herzog, Frone und Zinse nicht mehr den Einsiedels, sondern an die Ämter zu leisten; im Januar 1528 stellte er den Brüdern ein Ultimatum: Wollten sie nicht zum alten Glauben zurückkehren, sollten sie ihre Güter im Herzogtum verkaufen und das Land verlassen. Diesen letzten Schritt konnte die Einsiedels durch Kompromiss und Ausweichen verhindern.
In dem spektakulären Streit hatten die Einsiedels mehrfach Rat von Spalatin und Luther erhalten. An die Wittenberger Autoritäten wandten sie sich Hilfe suchend auch 1534 im Streit um ihren lutherischen Pfarrer zu Röda. Schon zum 3. März 1534 hatten Luther, Jonas, Melanchthon und Bugenhagen gemeinsam an Einsiedel geschrieben. Die kirchliche Zuständigkeit Herzog Georgs könne nicht bestritten werden. Man empfahl, den Untertanen den Kirchenbesuch im benachbarten ernestinischen Gebiet freizustellen und verwies auf die ganz individuelle Verantwortung eines jeden für seinen Glauben.
Mit dem vorgestellten Brief schreibt Justus Jonas am 19. März 1534 im Auftrag der Wittenberger Reformatoren an den älteren Einsiedel-Bruder Heinrich Hildebrand. Jonas gehörte seit 1521 als Propst der Schlosskirche und später auch als langjähriger Dekan der theologischen Fakultät zum engsten Wittenberger Kreis um Luther. In seinem Schreiben wiederholt Jonas nochmals, dass jeder Christ seinen Glauben auf eigene Gefahr bekennen müsse. Aber um die Bedrängnisse der armen Untertanen zu lindern, wolle Philipp Melanchthon mit Burggraf Hugo von Leisnig, dem Lehensherrn über die Einsiedels zu Gnandstein, nochmal verhandeln. Jonas gibt Hinweise für ein Schreiben der Einsiedels an Herzog Georg und vertraut, wohl in Anspielung auf das hohe Alter Herzog Georgs, darauf, dass sich alles bald zum Besseren wenden werde.
Herzog Georg starb erst fünf Jahre später. Die Einführung der Reformation 1539 nun auch im albertinischen Sachsen erlöste die Herren von Einsiedel zu Gnandstein aus einem fast zwanzigjährigen Konflikt. Die historisch überaus wertvollen Briefe von und an die Brüder Einsiedel aus dem ehemaligen Gnandsteiner Burgarchiv bezeugen die widerständige Emanzipation einer sächsischen Adelsfamilie im Kampf um religiöse Selbstbestimmung, im Ringen zwischen Glaube und Macht.
Verfasser: André Thieme
Signatur: Mscr.Dresd.Aut.1357 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Der Briefwechsel des Justus Jonas, ges. und bearb. von Gustav Kawerau. Nachdruck der Ausgabe Halle 1884/1885. Hildesheim 1964 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete; 17), Bd. 1, S. 203 f. (Nr. 249).
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