Chymiatrie und Luthernachlass
Der auf den 1. April 1592 datierte Brief ist von dem damals in Leipzig tätigen Arzt und Chemiker Paul Luther (1533–1593), dem fünften Kind von Martin Luther und Katharina von Bora, an Kurfürstin Katharina von Brandenburg-Küstrin (1549–1602) gerichtet. Der von einem Berufsschreiber verfasste Brief ist von Paul Luther eigenhändig unterschrieben.
Paul Luther hatte in Wittenberg Medizin studiert und wurde 1567 an den Hof des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. (1505–1571) berufen. Nach dessen Tod wurde er Leibarzt des Kurfürsten August von Sachsen (1526–1586) und seines Nachfolgers Christian I. (1560–1591). Katharina war eine Tochter des Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin (1513–1571), des Bruders von Kurfürst Joachim II., und seit 1570 mit dem späteren Kurfürsten Joachim Friedrich von Brandenburg (1546–1608) verheiratet. Die Versorgung der Armen war ihr ein besonderes Anliegen; ihre Schlossapotheke gab unentgeltlich Medikamente an Bedürftige ab.
Luther antwortet auf die Frage der Kurfürstin nach der Anwendung des mit „rubinroter Essenz des Goldes“ versetzten süßen Mandelöls. Luther repräsentierte die chymiatrische Richtung der Medizin, die alchemistische Prinzipien auf die Heilkunde anwandte, und er entwickelte verschiedene Medikamente auf mineralisch-chemischer Basis. Im Brief kommen alltägliche Probleme bei der Beschaffung von Gerätschaften zur Sprache, auch bietet Luther an, persönlich bei Hofe Arzneien herzustellen.
Das als „Aurum potabile“ („Trinkbares Gold“) bezeichnete Lebenselixier war neben dem „Stein der Weisen“ das oberste Ziel aller Alchemisten, da es gegen jede Krankheit und auch gegen das Altern wirken sollte. Dafür wurde Gold zermahlen, verschiedenen Säuren ausgesetzt und immer wieder destilliert. Der Prozess dauerte monatelang, folgte den Rhythmen der Gestirne und musste von einer Läuterung des Alchemisten selbst begleitet werden. Luther empfiehlt die präventive Verabreichung bei Neugeborenen, die Einnahme bei „Herzklopfen“ und Schwindsucht sowie Einreibungen bei „Herzstechen“, „Krebs“ und Hämorrhoiden. Er berichtet jedoch nicht aufgrund eigener Erfolge – jede Heilung liege in Gottes Hand; man könne aber bei den mit diesem Mittel versorgten „armen gemeinen Leuten“ Erfahrungen sammeln.
Der zweite Teil des Briefes betrifft Bestände aus Martin Luthers Nachlass. Erwähnt werden Restexemplare der „Biblia Deutsch“ von 1545, in die die letzten Korrekturen von Luthers eigener Hand eingearbeitet worden waren. Zur Ansicht präsentiert werden sollten ferner eigenhändige Aufzeichnungen Martin Luthers. Den Römerbrief, den Schlüsseltext für Martin Luthers Rechtfertigungslehre, hatte der Reformator offenbar in „rotes Leder“ binden lassen; dieses Privatexemplar war der Kurfürstin persönlich bekannt. Paul Luther plante eine „Verdolmetschung“, zeigt sich jedoch misstrauisch gegenüber den Leipzigern, weil diese Stadt „voll des pestilenzischen calvinischen Giftes“ sei. Erwähnt wird schließlich noch ein Lutherbildnis „wie er in Patmo gewesen“ von Lucas Cranach d. Ä.; dies dürfte sich auf den Wartburg-Aufenthalt beziehen. Zu denken ist an die 1521/1522 zu datierenden Darstellungen von „Luther als Junker Jörg“.
Zum Schluss fügt Luther noch die Bitte an, eine beigefügte „Supplikation“ (Bittschrift) für Tobias Hübner (1577–1636) dem Kurfürsten zu übergeben. Möglicherweise ging es in diesem Gesuch, das in dem Manuskriptband nicht enthalten ist, um ein Stipendium für den damals fünfzehnjährigen Sohn eines anhaltischen Kanzlers, der später ein bekannter Übersetzer werden sollte. Luther unterzeichnete den von einem Schreiber ausgefertigten Brief mit eigener Hand: „Paulus Luther Doctor subscripsit“ (Doktor Paul Luther hat unterschrieben).
Verfasserin: Ortrun Riha
Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.333-338 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.