Über den Umgang mit „Altlasten“
Georg Spalatin hatte bei Kurfürst Friedrich dem Weisen die einflussreiche Stelle eines Hofkaplans und Privatsekretärs inne gehabt und war auch für die Wittenberger Universitätsangelegenheiten zuständig gewesen. Mit Luther frühzeitig freundschaftlich verbunden, vermittelte er über Jahre zwischen diesem und Friedrich. Das schloss auch die gemeinsame Seelsorge am Kurfürsten ein. Nach Friedrichs Tod im Jahre 1525 verließ Spalatin den Hof und wurde Pfarrer, später Superintendent in Altenburg. Allerdings suchten die Nachfolger Friedrichs regelmäßig seinen Rat in kirchlichen Fragen. All das schlug sich nieder in einem umfangreichen, mehrere Jahrzehnte umfassenden Briefwechsel. Luther war einer seiner häufigsten Korrespondenzpartner.
Der Brief aus dem Jahre 1533 gibt einige Hinweise zu ihrem guten Verhältnis. Es ist einer der zahlreichen Briefe von Reformatoren zu Stellenbesetzungsfragen für geistliche Ämter im neuen evangelischen Kirchenwesen. Regelmäßig informierten sich verantwortliche Geistliche über frei gewordene Pfarrstellen bzw. über Bewerber für diese. Man kann von einem inoffiziellen Netzwerk für Personalfragen sprechen. Dieses war vonnöten, da sich eine kirchliche Verwaltung erst langsam herausbildete. Solche Briefe zwischen miteinander vertrauten, sachorientierten Beteiligten hatten in einem gesellschaftlichen System ihren Platz, in dem Wohltaten und deren Vermittlung an der Tagesordnung waren. Beides ist der Zuschrift an Spalatin (die Adressierung des Briefes auf der Briefrückseite) und aus Luthers Einleitung zu entnehmen. Luther adressierte: „An Magister Georg Spalatin, einem Mann, hoch zu verehren im Herrn, dem so sehr treuen Diener Christi bei den Altenburger [Christen], seinem im Herrn allerteuersten Bruder“. Der hohe Stil entstammt der humanistischen Briefkultur, ist aber durchaus ernst gemeint: Luther betont damit die gemeinsame Verantwortung im Dienst an der Gemeinde Christi. In humanistischer Tradition steht auch die kurze Einleitung. Luther beginnt mit einem Vergil-Zitat: „‚Empfange Gefälligkeiten und erweise sie wiederum‘ – so wie du es selbst hältst!“ Einerseits bitte Spalatin häufig darum, dass man sich von Wittenberg aus um „arme Priesterlein“ kümmere. Also empfehle man ihm auch solche, wenn es notwendig sei.
Konkret geht es Luther um eine freie Stelle in Borna, für die er einen geeigneten Vorschlag habe (der freilich nicht realisiert werden konnte). Spalatin möge sich für Simon Haferitz einsetzen. Der Name lässt aufhorchen. Haferitz ist 1522 als Pfarrer der Wipertikirche in Allstedt bezeugt, wo er 1524 mit Thomas Müntzer in Kontakt kam und zu seinen Anhängern zählte. Obwohl sich Haferitz bald von Müntzer eindeutig losgesagt hatte, verfolgte ihn die Episode zeit seines Lebens und verursachte häufig seine Vertreibung aus Pfarrstellen. Luthers Einsatz für Haferitz, den er selbst 1524 kritisiert hatte, ist ein eindrucksvolles Beispiel für den Umgang des Reformators mit zeitweilig von der Wittenberger Reformation Abgewichenen. Er betont gegenüber Spalatin, dass sich Haferitz geändert habe, begründet seine Bitte aber auch damit, dass man ihn eng an sich binden möchte, damit er nicht wieder Gefahr liefe, unter falschen Einfluss zu geraten. Das Briefende verstärkt die vorgebrachte Bitte und will Spalatins Hilfe als Teil des gemeinsamen Dienstes an Christus verstehen. Die persönliche Freundschaft wird abschließend mit Grüßen an Spalatins Frau („Deine Herrin“) aufgenommen. Die Unterstreichungen mit Rötelstift lassen sich nicht eindeutig zuordnen, heben jedoch einige Argumente Luthers hervor.
Verfasser: Michael Beyer
Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.44-45 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: WAB 6, S. 469-471 (Nr. 2022); deutsche Übersetzung Walch2 21 II, 1819 f (Nr. 1980).
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.