„Guten rat begerd“: Luther als Testamentsberater
Unter den annähernd 2.600 weltweit überlieferten Originalbriefen Martin Luthers finden sich aufschlussreiche Briefwechsel mit Frauen, insbesondere mit Fürstinnen, die sich für Luthers Reformationsanliegen einsetzten. Martin Luther brachte seinen Briefpartnerinnen große Wertschätzung entgegen, allen voran seiner Ehefrau Katharina von Bora. Seine Äußerungen zur Stellung der Frau sind sicherlich nicht ohne Widersprüche, aber sie zeigen auch emanzipatorische Züge: mit der Reformation änderte sich auch die Anerkennung der Frau in der Gesellschaft.
Dies wird auch deutlich aus dreizehn Briefen Martin Luthers an Dorothea Jörger († 1556), Witwe des oberösterreichischen Landeshauptmanns und kaiserlichen Hofrats Wolfgang Jörger († 1524) auf Schloss Köppach bei Gmunden. Jörger hatte seinen Sohn Christoph 1522 auf eine Bildungsreise nach Sachsen geschickt, wo er auch Unterricht durch Martin Luther erhielt. Als Christoph Jörger nach dem Tod seines Vaters in seine Heimat zurückkehrte, trug er die neue Glaubenslehre begeistert in seine katholische Familie. Auf seinen Wunsch hin schickte Luther 1524 Michael Stifel als ersten evangelischen Prediger nach Österreich – bis dieser 1527 zurück nach Wittenberg floh, weil im benachbarten, damals bayerischen Schärding der Wittenberger Prediger Leonhard Kaiser als Ketzer verbrannt wurde.
All dies hielt Dorothea Jörger nicht davon ab, mit Katharina von Bora und Martin Luther enge Freundschaft zu pflegen und Wittenberger Studenten mit namhaften Stipendien zu fördern. Sie erbat sich von Luther sogar einen Testamentsentwurf. Martin Luther machte daraus ein weiteres eindrucksvolles Zeugnis reformatorischen Glaubens, nach dem ein Christ weder durch „Verdienst noch gute Werk“, sondern allein durch seinen Glauben Gnade vor Gott finden kann. Am Ende des Testamentsentwurfs von 1533 schlägt Luther entgegen der damaligen Rechtspraxis vor, dass die mütterlichen Güter Dorothea Jörgers unter ihren beiden Söhnen und ihren drei Töchtern „gleich geteilet werden“, um „Uneinigkeit zuverkommen“ (zuvorzukommen).
Gegen dieses Vorhaben erhoben die beiden Söhne aufgrund geltenden Rechts Einspruch – und brachten damit ihre Mutter in Gewissensnot. Im vorliegenden Brief vom 31. Juli 1536 versucht Martin Luther, das Problem rechtskonform und im Geiste christlicher Fürsorge zu klären. Wenn die beiden Söhne eine gleiche Erbteilung „nicht gestatten“, zumal die Töchter zuvor verzichtet hätten, könne Dorothea Jörger es nur erneut versuchen: „mit gute, das sie drein verwilligten“. Wenn die Söhne aber bei ihrem Widerspruch blieben, weil die Töchter im Vorfeld verzichtet hätten, und die Mutter die Anteile der Töchter nicht erstatten könne, „so kans ewr gewissen nicht beschweren“.
Martin Luthers Testamentsentwurf für Dorothea Jörger zeigt – wie später auch sein eigenes Testament zu Gunsten seiner Frau Käthe –, dass ihm die Rechtfertigungslehre wichtiger war als jede juristische Rechtsprechung. Ein Testament sollte dem Gewissen folgen, selbst wenn es rechtlich nicht durchzusetzen war.
Der Brief bezeugt Luthers frühe Reformationserfolge in Österreich. Er ist in einem Sammelband enthalten, den der brandenburgische Reformationshistoriker Martin Friedrich Seidel im 17. Jahrhundert zusammenstellte. Seidels Erben ließen den Nachlass versteigern, die Kurfürstliche Bibliothek Dresden konnte den Sammelband erwerben. Der enthaltene Brief Luthers endet wie viele seiner Briefe: „Mein Hausehre, fraw kethe, lesst euch freundlich grussen.“
Verfasser: Thomas Bürger
Signatur: Mscr.Dresd.R.96,S.411-412 (zum Digitalisat)
Edition der Quelle: WAB 7, 481 (Nr. 3054)
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.