Der Ratsschreiber Lazarus Spengler als Anwalt des biblischen Evangeliums gegen die „Verletzung der Gewissen“
Bei dem Autograph handelt es sich um einen Brief des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler (1479–1534), den er am 19. September 1530 aus der Reichsstadt an den Nürnberger Ratsherrn Hieronymus Baumgartner (1498–1565) nach Augsburg sandte. Auf dem dortigen Reichstag weilte Baumgartner als Gesandter Nürnbergs. Spengler war 1530 längst ein prominenter Stadt- und Religionspolitiker. Seine humanistische, juristische und theologische Bildung sowie seine leidenschaftliche Parteinahme in Fragen des Glaubens und der Kirchenreform machten ihn nicht nur zum Architekten der Nürnberger Reformation mit großem Einfluss auch auf den Reformationskurs der benachbarten fränkisch-hohenzollerschen Fürstentümer, sondern darüber hinaus auch zu einem der führenden Gestalter der frühen – stark städtisch bestimmten – Reformation auf Reichsebene. Er kann als der Theologe unter den Politikern der Reformation gelten. Immer dachte und agierte er von grundlegenden Glaubensprinzipien her, und stets, z.B. auch im Abendmahlsstreit, stand er dabei an der Seite Luthers, dessen Person und Lehre er seit 1519 in mehreren Flugschriften verteidigte. Als Laie war er generell misstrauisch gegenüber den Fachtheologen. Er fürchtete, dass sie das ‚einfache und klare Evangelium des biblischen Gotteswortes‘, wie es Luther wieder zum Leuchten gebracht habe, durch ihre spitzfindigen und eigenwilligen Auslegungen erneut verdunkeln könnten.
Diese Sorge erfüllte Spengler ebenso wie Baumgartner vor allem, nachdem auf dem Augsburger Reichstag am 25. Juni 1530 die Confessio Augustana von den Evangelischen an Kaiser Karl V. überreicht worden war. Im August und September kam es zu Sonderverhandlungen zwischen den Konfessionsparteien, wobei auf katholischer Seite Johannes Eck und auf evangelischer Philipp Melanchthon die theologischen Wortführer waren. Melanchthon zeigte sich um der Wahrung der Kircheneinheit und des religionspolitischen Friedens willen zu Kompromissen bereit, insbesondere bei strittigen Fragen wie der bischöflichen Jurisdiktion, des Klosterlebens, der Beichtpraxis oder des Laienkelchs. Auf protestantischer Seite rief Melanchthons Verständigungskurs große Verunsicherung und vor allem den Widerstand Nürnbergs und Hessens hervor. Im vorliegenden Brief nimmt Spengler die erregte Empörung auf, die Baumgartner ihm gegenüber in zwei vorausgegangenen Briefen vom 13. und 15. September geäußert hatte („Denn auf diesem Reichstag hat kein Mensch dem Evangelium bis auf den heutigen Tag mehr Schaden als Philipp [Melanchthon] zugefügt“). Der Ratsschreiber sieht bei Melanchthon ein zu großes Vertrauen auf die „weltliche Weisheit“, die den irdischen Frieden zum Nachteil des Evangeliums „kaufen“ will. Dieser Haltung stellt er folgende Prinzipien einer christlichen Politik gegenüber: „Es wäre vernünftig und weise gehandelt, zeitlichen Frieden auch mit großem zeitlichen Schaden zu kaufen. Aber zeitlichen Frieden mit Verlästerung des Evangeliums, zum Nachteil allgemeiner Christenheit und mit Verletzung der Gewissen zu erlangen, kann niemals gut sein.“ Spengler versichert Baumgartner, dass er Luther einen Boten geschickt und ihn dringlich gebeten hat, Melanchthon zu schreiben. Baumgartner soll „die Sache Gott anheim stellen und ihm vertrauen. Der wird, wie Ihr sehen werdet, ein anderes Mittel und Ende verordnen, als wir alle vermuten.“ Ist doch sein Wort „der ganzen Welt zu hoch und mächtig und menschlicher Weisheit oder Klugheit nicht unterworfen“.
Verfasser: Berndt Hamm und Gudrun Litz
Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,25,1 (zum Digitalisat).
Edition der Quelle: Johann Karl Seidemann: Aus Spenglers Briefwechsel, in: Theologische Studien und Kritiken 51 (1878), S. 314–323, hier S. 314–318.
Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.