Autograph der Woche Ausgabe 73 von 95 |

Onophirus John: Notenhandschrift des Lutherliedes „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, 1595.

Signatur: Mus.Löb.8 und Löb.70 [Tenor]

Ein Chorsatz von Paul Schedius im „Musikalischen Stammbuch“ des Christoph Nostwitz

Vermutlich Ende 1541 oder Anfang 1542 verfasste Martin Luther den Text des Liedes „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, beunruhigt durch das erneute Vorrücken des türkischen Heeres auf Österreich. Zudem erhöhte sich die Kriegsgefahr seitens des Papstes Paul III., der nach den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg versuchte, mit militärischen Mitteln gegen die reformatorische Bewegung vorzugehen. Deshalb benennt Luther die „zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken“, von denen er sich bedroht fühlte, bereits in der Überschrift. Seine Bitte „und steur des Papsts und Türken Mord“ führte allerdings zu Missverständnissen. Obwohl der Reformator damit nicht den Tod seiner Widersacher, sondern das Ende ihres Mordens herbeisehnte, wurde die Zeile schon bald nach der Veröffentlichung mehrfach neu formuliert und aktualisiert. Dass Luther seine zu den Kernliedern der Reformation gehörende Dichtung als „Kinderlied“ bezeichnete, liegt nicht nur an der schlichten Form der drei Vierzeiler, die sich leicht erlernen und im Gedächtnis bewahren lassen. Offenbar war der Reformator davon überzeugt, dass nur noch das kindliche Gebet voller Gottvertrauen in dieser gefahrvollen Situation helfen könne. Dem trinitarischen Bekenntnis folgend, richtet es sich in der ersten Strophe an Gottvater, dessen Wort die Christenheit in Zeiten der Bedrängnis erhalten soll. In Strophe zwei wird Christus als „Herr aller Herren“ angerufen, dessen Macht retten und bewahren kann. Anstatt sich auf die eigene Leistung zu verlassen, ermahnt Luther die Gläubigen in der letzten Strophe, auf die Kraft des göttlichen Geistes zu vertrauen. Das Lied, dessen Melodie auf die Weise des Hymnus „Veni redemptor gentium“ zurückgeht und ebenfalls von Luther stammt, erhielt schon bald seinen festen Platz im Gottesdienst.

Angesichts des Vordringens der Osmanen nach Mitteleuropa hatte der Reformator bereits 1529 „Verleih uns Frieden gnädiglich“ verfasst, eine Umdichtung der alten Friedensantiphon „Da pacem, Domine“. Ab 1542 wurde es häufig zusammen mit „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ gesungen und in den Gesangbüchern abgedruckt. Diese Zusammenstellung der beiden Lieder wählte auch der Dichter und Komponist Paul Schedius für seine Vertonung. Bis auf wenige Drucke sind die Kompositionen des fränkischen Kleinmeisters in mehreren Sammelhandschriften des 16. und 17. Jahrhunderts vertreten. Die Motette „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ ist u.a. in einem musikalischen Gästebuch überliefert, das von dem Rektor der städtischen Lateinschule Löbau, Christoph Nostwitz, 1592 im Auftrag des dortigen Senats angelegt wurde. In die acht Stimmbände haben sich bis 1685 Ratsherren, Kirchen- und Schulbeamte aus Löbau, Bautzen, Görlitz und anderen Lausitzer Städten mit Stammbuchtexten und Kompositionen, die zumeist nicht von ihnen selbst stammten, eingetragen. Die Honoratioren, die des Notenschreibens unkundig waren, ließen die jeweilige Vertonung durch andere aufzeichnen. Die Sammelhandschrift wurde über Jahrhunderte in der Ratsbibliothek Löbau aufbewahrt und befindet sich seit 1890 als Depositum in der SLUB Dresden.

Die Motette von Paul Schedius hat Magister Onophirus John, Sohn eines wohlhabenden Görlitzer Tuchmachers, der nach seinem Universitätsstudium zum Mitglied des Löbauer Rates berufen wurde, hier am Michaelistag (29. September) 1595 notiert und mit einem erklärenden Text versehen. Damals war die weltpolitische Lage wiederum angespannt. Seit 1593 tobte der Burgenkrieg zwischen dem Osmanischen Reich und mehreren christlichen Staaten. Aus Johns Beitrag erfahren wir, dass „ganz Ungarn im Türkischen Krieg brannte“. Wie Luther Jahre zuvor, so sah auch der Löbauer Ratsherr in den Gebeten, „die fromme Seelen an Gott richten“, die einzige Möglichkeit, aus der ausweglosen Situation herauszukommen. Er war der festen Überzeugung, dass nur Gott allein „durch und mit seinem Sohn“ die kriegerischen Auseinandersetzungen beenden und Frieden schaffen könne.

Verfasserin: Kerstin Hagemeyer

Signatur: Mus.Löb.8 und Löb.70 [Tenor], S. 36-43 (Nr. 11) (zum Digitalisat).

Literatur: Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe, bearb. von Markus Jenny. Köln [u.a.] 1985, S. 118 f. 304 f. (Nr. 38); Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Heft 21. Göttingen 2016, S. 3-8; Thust, Karl Christian: Die Lieder des Evangelischen Gesangbuchs. Band 1. Kassel [u.a.] 2012, S. 342-345; Steude, Wolfram: Untersuchungen zur mitteldeutschen Musiküberlieferung und Musikpflege im 16. Jahrhundert. - Leipzig 1978, S. 100; Die Musiksammelhandschriften des 16. und 17. Jahrhunderts in der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, bearbeitet von Harald Kümmerling, Wolfram Steude. Leipzig 1974, S. 111-112.