Autograph der Woche Ausgabe 38 von 95 |

Geomantische Studie von Kurfürst August von Sachsen zu den Konkordienverhandlungen in Torgau, Mai 1576.

Signatur: Mscr.Dresd.K.338

Mantik – Konfession – Politik

Zu den Gestaltern der Reformation gehörten außer den Reformatoren auch die Fürsten. Nach der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen (1539) durch Herzog Heinrich den Frommen (1473–1541) waren es die Kurfürstenbrüder Moritz (1521–1553) und August von Sachsen (1526–1586), die in diesem Territorium für eine Neuordnung des Kirchenwesens nach dem Vorbild der Wittenberger Reformation sorgten. Nach der kurzen Regierungszeit von Kurfürst Moritz prägte vor allem Kurfürst August in seiner langen Regierungszeit von 1553 bis 1586 die Reform der Kirche, die er mit dem Aufbau eines frühmodernen Territorialstaats verband.

Unter den zahlreichen Autographen, die von Kurfürst August erhalten sind, ist eine Stellungnahme überliefert, mit der er am 21. November 1575 erklärte, sich dem lutherischen Konkordienwerk anzuschließen, das der Überwindung von Spaltungen und Lehrstreitigkeiten innerhalb des Luthertums dienen sollte. Damit initiierte der Kurfürst in Kursachsen einen Prozess, der am Ende zur Verabschiedung des „Konkordienbuches“ (1580) führte, in dem die Lehrgrundlagen der evangelischen Kirche zusammengefasst wurden. Der Weg dahin war jedoch steinig. Im Mai 1576 beschäftigte den Kurfürsten die Frage, ob die nach Torgau berufenen Theologen zu einer Einigung überhaupt bereit sind. Einen Einblick in die Stimmungslage des Kurfürsten gestatten seine mantischen Studien, von denen hier ein Beispiel vorgestellt wird.

Das Prinzip der geomantischen Technik beruht darauf, dass zunächst eine Frage gestellt wird, die zu beantworten ist. Danach werden mit einer Nadel Punkte in ein Blatt Papier gestochen, aus denen „Figuren“ gebildet werden, denen bestimmte Berechnungen zugrunde liegen. Am Ende wird eine Zahl ermittelt („Radix“), deren Bedeutung für die Beantwortung der gestellten Frage ausschlaggebend ist. Es handelt sich um ein relativ willkürliches Verfahren, das leicht zur gewünschten Antwort führt und für Deutungen reichlichen Spielraum lässt. Signifikant sind die Fragen des Kurfürsten und die Deutungen, die er jeweils unter die Zeichnungen mit den „Figuren“ schrieb. Die Fragen, über die sich der Kurfürst mit Hilfe der Geomantie Gewissheit verschaffen wollte, betrafen unterschiedliche Bereiche: Politik, Personalangelegenheiten, Alltag und Familie. Oft ging es nur darum, mit Hilfe der Geomantie eine vorgefasste Meinung zu bestätigen. Die geomantischen Fragen, die Kurfürst August im Frühjahr 1576 formulierte, ergeben ein buntes Bild. So wollte er wissen, wie die Wahl des polnischen Königs ausgeht; ob sich die Tochter Anna vom Fieber erholt; ob er den Reichstag besuchen müsse und ob er Glück bei der Vogeljagd haben werde. Für den Zeitraum 1576 bis 1580 werden über 1000 solcher Fragen gezählt.

Im Mai 1576 stellte sich der Kurfürst im Blick auf die bevorstehenden Konkordienverhandlungen die Frage: „Wird die Zusammenkunft der Theologen zu Torgau sich auch friedlich und mit guter Einigkeit enden?“ Die Antwort der Zahlen notierte der Kurfürst unter der Figur. Da die Zahl „zweifelhaft“, aber „zum Guten geneigt“ sei, sei daraus zu schließen, dass die Theologen am Anfang etwas „zanken, keifen und einander die Wahrheit sagen“, doch werde sich dann das „trübe Wetter“ legen und mit Gottes Hilfe vorüber gehen. Die aufgehende Sonne werde allen Zank und „schweren Nebel“ niederdrücken und dann zur „beständigen Klarheit der Einheit“ leuchten. Gemeint war hier die Einheit aller lutherischen „Religionsverwandten“, die „nicht calvinisch“ sind. Die guten Wetteraussichten über Torgau galten also nicht den Calvinisten!

Unter den mantischen Studien des Fürsten gibt es noch weitere, die seinen ausgeprägten Calvinistenhass zeigen. Wie kaum eine andere Quelle gestatten die geomantischen Aufzeichnungen Einblicke in die Gedankenwelt und Psyche des sächsischen Kurfürsten.

Verfasser: Hans-Peter Hasse

Signatur: Mscr.Dresd.K.338,Bl.30r (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.

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