Autograph der Woche Ausgabe 95 von 95 |

Ein Fragment aus Luthers Druckmanuskript der „Fastenpostille“ (1525) in der „Dresdner Reformatorenbibel“ mit Bestätigung der Echtheit durch Luthers Söhne (1564).

Signatur: Mscr.Dresd.A.51.a

Als der Wittenberger Erzschmied Hans Reichknecht Autographe der Wittenberger Reformatoren sammelte, um sie in seine Lutherbibel (1545) einbinden zu lassen, wandte er sich im Jahr 1564 an Luthers Söhne mit der Bitte um ein Autograph ihres Vaters. Sie stellten ihm – als Geschenk oder für Geld? – ein Blatt zur Verfügung, das sie aus dem damals noch erhaltenen Druckmanuskript von Luthers Fastenpostille (1525) herausschnitten. Dabei wählten sie eine Stelle aus Luthers Predigt am dritten Fastensonntag über Epheser 5,1-10 aus, die so zurechtgeschnitten und auf ein Blatt aufgeklebt wurde, dass der Eindruck entstand, dass es sich hier um einen originalen Bucheintrag Luthers handelte. Bei seinen Bucheintragungen folgte Luther dem Schema, dass er ein Bibelzitat mit einer kurzen paraphrasierenden Auslegung verband und am Ende Unterschrift und Datum hinzufügte. Auch hier finden wir zuerst die Bibelstelle (Epheser 5,1) als Überschrift: „Epistel S pauli zun Ephesern am V.“ mit dem Zitat: „Lieben bruder seyt Gottes nachfolger als die lieben kinder“. In der folgenden Auslegung sagt Luther, dass der Apostel die Christen mit seinem „Vermahnbrief“ dazu auffordert, nicht müde und faul zu werden, das Wort Gottes durch Taten und „Früchte des Glaubens“ zur „Besserung der Ungläubigen“ zu ehren. Mit der Anrede der Christen als „Gottes Kinder“ habe der Apostel die „besten und süßesten“ Worte gewählt, um die Kinder Gottes zur Liebe Gottes des Vaters anzureizen. Bis hierhin erweckt das Autograph stilistisch den Anschein eines Bucheintrages. Der Mangel, dass hier nicht die Unterschrift Luthers folgt, wurde von den Söhnen Luthers dadurch ausgeglichen, dass sie die Echtheit des Autographs mit ihren Unterschriften bezeugten. „Doctor Luthers meines lieben Vaters Handt“, schrieb Martin Luther (1531–1565) am 27. Mai 1564 unter das Autograph und fügte hinzu: „Bekenne ich Martinus Luther sein Son“. Seine Brüder Paul (1533–1593) und Johannes [Hans] (1526–1575) stellten ihren Unterschriften Bibelzitate voran (Joh 3,16; Joh 3,35 f.). Damit ahmten sie den Stil der Bibeleintragungen ihres Vaters nach.

Leider sind die Eintragungen der Söhne Luthers aufgrund der Wasserschäden, die der „Dresdner Reformatorenbibel“ massiv zusetzten, heute nicht mehr lesbar. Ihre Kenntnis verdanken wir dem Dresdner Pfarrer und Reformationshistoriker Johann Karl Seidemann (1807–1879), der die Eintragungen 1876 noch in einem besseren Zustand vorfand und zum ersten Mal publizierte. Die Restaurierung des Bandes nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer überraschenden Entdeckung. Es gelang, die aufgeklebte Rückseite des Lutherautographs freizulegen, die hier Luthers Handschrift in einem hervorragenden Zustand zeigt. Es handelt sich um die eigentliche Vorderseite des Blattes aus Luthers Manuskript mit einem Abschnitt aus seiner Predigt am zweiten Fastensonntag über Matthäus 15,21–28. Da Luthers Manuskript seiner Fastenpostille (1525) – bis auf dieses eine Blatt – nicht mehr erhalten ist, erweist sich das in der „Dresdner Reformatorenbibel“ erhaltene Fragment als ein kostbarer Schatz, der zugleich den Umgang mit Lutherautographen in der Familie Luther und bei den zeitgenössischen Verehrern des Reformators zeigt. Dem Wittenberger Erzschmied Hans Reichknecht, der Luther auf der Kanzel noch erlebt hatte, bedeutete es viel, als erstes Stück in seine Autographensammlung eine Handschrift von Martin Luther aufzunehmen. Der davor eingebundene kolorierte Holzschnitt mit dem Porträt Luthers aus der Cranachwerkstatt schlug infolge der Wasserschäden so auf die Autographen Luthers und seiner Söhne durch, dass sich heute die Gestalt des Reformators wie ein dunkler Schatten auf dem Papier abbildet.

Verfasser: Hans-Peter Hasse

Signatur: Mscr.Dresd.A.51.a,Bl.9r (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: WA 48, S. 262-265 (Anhang VI.) mit WA 48 RN S. 125 f. und WA 17 II, S. 205, 19-30; WA 59, S. 192 f. mit WA 17 II, S. 204, 12-29.

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.