Autograph der Woche Ausgabe 72 von 95 |

Urbanus Rhegius: Brief an Philipp Melanchthon, Schmalkalden, zwischen 18. und 23. Februar 1537.

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,18

Philipp, treibe die Sache voran!

Urbanus Rhegius, seit 1530 Superintendent in Celle, und Philipp Melanchthon befinden sich beide in Schmalkalden, als Rhegius zwischen dem 18. und 23. Februar 1537 diesen Brief an Melanchthon richtet. Seit dem 7. Februar tagen in dem zur Landgrafschaft Hessen gehörenden Städtchen die im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen protestantischen Fürsten und Magistrate, die von ihren theologischen Beratern begleitet werden. So sind dort fast alle bedeutenden deutschen Reformatoren versammelt, darunter Luther und Melanchthon als Mitglieder der kursächsischen Delegation und Rhegius im Gefolge des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg. Es geht um die Reaktion der Protestanten auf die Ausschreibung eines Konzils nach Mantua durch Papst Paul III. Seit den Anfängen der reformatorischen Bewegung hatte ein Konzil theoretisch als Königsweg zur Befriedung des religiösen Zwiespalts gegolten, doch erst jetzt stehen die Protestanten tatsächlich vor der Frage, ob sie sich einem Konzil stellen sollen, das vom Papst, mithin der Gegenseite im Konflikt, veranstaltet und dominiert würde: Teilnehmen und Zeugnis ablegen – oder boykottieren und das Recht des Papstes konsequent bestreiten?

Als Rhegius an Melanchthon schreibt, ist diese Frage politisch bereits entschieden: Die Protestanten lehnen die Konzilsteilnahme wegen mangelnder Freiheit des Konzils vom Papst ab. Mit dieser Entscheidung wandelt sich die Zielrichtung des Schmalkaldener Treffens. Es muss nun um die Konsolidierung des Protestantismus und die Klärung der eigenen Position gehen. Luther hatte im Vorfeld Lehrartikel verfasst, in denen man den Gegnern keinesfalls nachgeben dürfe. Zur Vorlage bei einem Konzil werden sie nun nicht mehr benötigt. Aber sie könnten geeignet sein, die Protestanten hinter Luthers Autorität zu versammeln.

Luther selbst fällt in Schmalkalden durch eine schwere Erkrankung aus, und niemand weiß, ob er je wieder selbst die Sache der Reformation wird betreiben können. Hier setzt Rhegius’ Brief an: Da Luther „wohl noch nicht so weit genesen“ ist, um „die Mühen auf sich nehmen zu können“, soll nun Melanchthon entschlossen die Rolle des Anführers übernehmen. Er soll dafür sorgen, dass die Theologen neben der Confessio Augustana von 1530 auch Luthers Artikel unterschreiben. Vor allem von den Oberdeutschen erwartet Rhegius, dass sie so die im Vorjahr in der Wittenberger Konkordie festgestellte Einheit in der Abendmahlslehre bekräftigen. Rhegius hatte sich schon vor 1530, damals noch als evangelischer Prediger in Augsburg, für die Einheit der reformatorischen Bewegung engagiert – jetzt will er sie im klaren Anschluss an Luthers vermächtnisartige Artikel erreichen. Dass Melanchthon diesen eine solche einigende Funktion nicht zutraute, konnte Rhegius nicht wissen. So macht er sein Einheitsprojekt Melanchthon in drängendem Ton zur Aufgabe: „Treibe, treibe, sage ich, Philipp, treibe die Sache voran, damit aufgrund der geleisteten Unterschriften unsere Obrigkeiten wissen, was alle und jeder Einzelne über die Religion lehren!“ Es geht also um die Einheit des Protestantismus, um Klarheit in der Lehre und um Melanchthons Führungsrolle. Und nebenbei dann auch noch um ein baldiges Ende des kostspieligen und kräftezehrenden Aufenthalts in dem „Schmalkaldischen Gefängnis“.

Luthers „Schmalkaldische Artikel“ werden am 24. Februar 1537 von den meisten der in Schmalkalden versammelten Theologen unterzeichnet. Während Rhegius sie als erster nicht-kursächsischer Theologe mit offenkundigem Nachdruck unterschreibt, halten sich einige oberdeutsche Theologen fern, weil sie die Abendmahlskonkordie in den Artikeln nicht wiederfinden. Deshalb werden diese auch nicht offizieller Teil der politischen Beschlüsse, die sich ausschließlich auf von Melanchthon verfasste theologische Texte beziehen. Der Adressat des Briefes wird also in Schmalkalden durchaus zu einer Leitgestalt des Protestantismus, wenn auch nicht ganz so, wie es der Briefschreiber erhofft hat.

Verfasser: Hellmut Zschoch

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,18 (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: MBW.Texte Bd. 7 (Nr. 1850).

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