Autograph der Woche Ausgabe 80 von 95 |

Martin Luther: Druckmanuskript seiner Schrift „Tröstung an die Christen zu Halle über Herrn Georgen ihres Predigers Tod“, 1527.

Signatur: Mscr.Dresd.A.173

Meuchelmord in Teufels Auftrag

Am 23. April 1527 wurde in der Nähe von Aschaffenburg, der Residenz des Mainzer Erzbischofs, der Prediger Georg Winkler aus Halle heimtückisch ermordet. Er befand sich auf dem Heimweg von einem Verhör, das Erzbischof Albrecht mit ihm angestellt hatte, weil er in Halle evangelisch gepredigt und auch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgeteilt hatte. Halle gehörte politisch zum Erzstift Magdeburg und war die bevorzugte Residenz des Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, der den Erzbistümern Magdeburg und Mainz sowie dem Bistum Halberstadt vorstand, auch Kardinal war und als Mainzer Erzbischof Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und zugleich dessen Erzkanzler. An der Art und Weise der Tilgung seiner Schulden bei der römischen Kurie, die sich Albrecht aufgrund seiner Ämterhäufung aufgeladen hatte und für die er den Ablasshandel zugunsten von St. Peter in Rom betrieb, entzündete sich Ende Oktober 1517 die Reformation. In den Folgejahren bestand zwischen Luther und Albrecht ein ambivalentes Verhältnis. Luther hoffte lange, den Erzbischof doch noch für die evangelische Sache zu gewinnen.

Georg Winkler hatte 1525 in der Zeit des Bauernkrieges dafür gesorgt, dass in Halle die öffentliche Ordnung erhalten blieb und stand deshalb mit Albrecht in gutem Einvernehmen, obgleich der Prediger an der neu errichteten Stiftskirche seit 1524 im Sinne der evangelischen Bewegung wirkte. Luther machte in seiner Trostschrift das Mainzer Domkapitel indirekt für den Mord an Winkler verantwortlich, hatte jedoch auch vermutet, dass Albrecht selbst hinter der Bluttat stecken könnte. Er unterließ es aber, den Erzbischof selbst öffentlich unter Verdacht zu stellen. Erst mehrere Jahre später, als Albrecht im Zuge dunkler Finanzgeschäfte, an denen er selbst beteiligt war, seinen Kämmerer Hans von Schönitz hinrichten ließ, machte Luther den alten Verdacht gegen Albrecht in Bezug auf Winklers Ermordung öffentlich.

Luther zieht in seinem Trostschreiben eine Parallele zur Ermordung Abels durch Kain, lastet das Martyrium Winklers dem Teufel und seinem Anhang an und bittet Gott, darum, dass Winklers Blut wie ein Same hundertfältig Frucht bringen möge, nämlich 100 Prediger anstelle des einen Ermordeten. Die Christen in Halle sollten sich nicht wundern, dass auf Erden solche Unglücke geschehen: dieses Leben sei eine Mördergrube des Teufels. Alle müssten wissen, dass sie Gäste seien in einer Herberge, deren Wirt falsches Spiel treibe. Deshalb hinge an diesem Gasthof ein Schild mit der Aufschrift „Zum Mord und zur Lüge“, das übrigens Christus selbst angebracht habe, da er den Teufel als Mörder und Lügner bezeichnete. Als der Teufel gesehen habe, dass sein Gast, der Georg Winkler in Halle, die Wahrheit des Evangeliums seinen eigenen Lügen entgegensetzte, habe er reagiert. Das Wissen darum sei der erste Trostgrund. Der zweite bestünde darin, dass Winkler seiner weltlichen Obrigkeit gehorsam gewesen sei und sich dem Verhör gestellt habe. Drittens sei er um des Evangeliums willen ermordet worden, insbesondere wegen der Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt. An dieser Stelle schiebt Luther eine längere Abhandlung über die biblische Begründung der evangelischen Kommunionsform ein und kommt danach zum vierten Trostgrund: Winklers Martyrium bedeute auch, dass er selbst nun nicht mehr herausfallen könne aus Gottes Barmherzigkeit, die ja den Teufel zuletzt ins Abseits stelle. Luther sieht hier sogar ein Zeichen des nahenden Weltendes: Gott entzieht der Welt vorzeitig die Gerechten, um dann sein Strafgericht an den Gottlosen zu vollziehen. Die Tat an Winkler war unzweifelhaft böse und verdammenswert; doch Christen sollten im Sinne der Feindesliebe Gott für jene Menschen bitten, die im Dienst des Teufels gemordet haben.

Insbesondere wegen Luthers Überlegungen zum Abendmahlsgebrauch unter beiderlei Gestalt, aber auch wegen seiner Mutmaßungen in Bezug auf die Hintermänner der Mörder Winklers erregte die Schrift großes Aufsehen. Herzog Georg von Sachsen verfasste selbst eine Gegenschrift, die unter dem Namen von Augustin von Alvelt, Guardian des Franziskanerklosters in Halle, erschien. Darin verfocht er sogar die Rechtmäßigkeit des Mordes aufgrund des Wormser Edikts. Luthers eigenhändiges Druckmanuskript, von dem hier das erste Blatt zu sehen ist mit dem Titel „Allen lieben freunden zu Halle. Martinus Luther“, ist nicht ganz vollständig erhalten. Die fehlenden Stücke wurden sorgfältig aus der Jenaer Ausgabe von Luthers Schriften ergänzt.

Verfasser: Michael Beyer

Signatur: Mscr.Dresd.A.173,Bl.11r (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: WA 23, 390-430.

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