Autograph der Woche Ausgabe 66 von 95 |

Brief von Georg Spalatin an Friedrich Pistorius, 23. Juni 1532.

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,24(1)

Reformatorische Zitate eines Kirchenvaters

Georg Spalatin, Privatsekretär des Kurfürsten Friedrich des Weisen, inzwischen Pfarrer in Altenburg, weilte im Juni 1532 zu einem Besuch bei Friedrich Pistorius in Nürnberg. Pistorius (1486–1553) war Benediktinermönch, leitete von 1520 bis 1525 das Egidienkloster in Nürnberg und wirkte von 1534 bis zu seinem Tod als Bücherzensor in der fränkischen Reichsstadt. Pistorius war maßgeblich am Nürnberger Religionsgespräch 1525 beteiligt, mit dem in Nürnberg die Reformation eingeführt wurde.

Mit dem vorliegenden Brief schickte Spalatin seinem Freund als ein „Erinnerungszeichen seiner Freundschaft“ („mnemosynon amicitiae“) drei Zitate des lateinischen Kirchenvaters Tertullian (um 150 n. Chr.  ̶ nach 220 n. Chr.), die er ihm am Tag zuvor bei seinem Besuch versprochen hatte. Vermutlich hatte es darüber ein Gespräch gegeben. Spalatin gibt die Titel der Tertullianschriften an, aus denen die Zitate stammen, die  ̶  herausgelöst aus dem ursprünglichen Kontext   ̶  wie „Kernsätze“ der Reformation wirken.

Mit dem ersten Zitat aus Tertullians Schrift „De exhortatione castitatis“ (Über die Ermahnung zur Keuschheit; 7, 3 f) wird der reformatorische Grundsatz des „Priestertums aller Gläubigen“ illustriert: „Den Unterschied zwischen Klerus und Volk hat die Kirche mit ihrem Ansehen eingeführt. Du kannst (das Abendmahl) austeilen und taufen. Du bist Priester für dich allein. Aber wo Drei (versammelt) sind [vgl. Matthäus 18, 20], da ist die Kirche, auch wenn es Laien sind. Ein jeder lebt aus seinem Glauben. Es gibt kein Ansehen der Person bei Gott.“ Tertullian argumentiert, dass durch die Taufe alle Priester geworden sind. Es gibt keinen essentiellen Unterschied zwischen Kirche und Laien – das ist auch ein Grundsatz der Reformation. Vom Grundsatz her darf jeder taufen und das Abendmahl austeilen. Eine feste kirchliche Ordnung ist nicht heilsnotwendig.

0Das zweite Zitat stammt aus Tertullians Schrift „De velandis virginibus“ (Über die Verschleierung der Jungfrauen; Cap. 1): „Die Häresien werden nicht durch ihre Neuheit, sondern vielmehr durch die Wahrheit widerlegt. Was gegen die Wahrheit verstößt, das ist Häresie, und wenn es auch ein altes Herkommen wäre.“ Tertullian argumentiert hier gegen das Gewohnheitsrecht und eine im Altertum verbreiteten Ansicht, eine Tradition schon allein aufgrund ihres Alters als „wahr“ anzusehen. Ähnlich argumentierten auch die Reformatoren. Was wahr oder „häretisch“ ist, kann nur am Maßstab der Wahrheit selbst entschieden werden.

Das dritte und letzte Zitat stammt aus Tertullians Schrift „De poenitentia“ (Über die Buße; 10, 6). In dieser Abhandlung wird untersucht, ob ein Mensch, der eine kapitale Sünde begangen hat, nach Buße und Umkehr wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren könne. Tertullian meint: Ja, aber nur einmal und nur nach öffentlicher Reue. „In dem einen wie in dem anderen lebt die Kirche“, zitiert Spalatin aus der Schrift Tertullians. Gemeint ist: Wenn eines der Glieder der Kirche gesündigt hat, dann leidet der ganze Leib. Der Sünder soll nicht vor seinen Sünden fliehen, sondern er soll sich vor der Gemeinde demütig zu Füßen werfen und bereuen. Das Haupt der ganzen Kirche aber ist Christus. Der Sünder bittet also durch die Mitbrüder auch ihn, den Gekreuzigten, um Vergebung. Im Sinne der Reformatoren bedeutete das: Auch der Mitbruder kann eine Sünde vergeben, weil in ihm Christus sichtbar wird. In dem Zitat wird implizit auch gesagt, dass das Oberhaupt der Kirche nicht der Papst, sondern der gekreuzigte und auferstandene Christus ist.

Der Brief Spalatins zeigt, dass Humanisten und Anhänger Luthers die Kirchenväter lasen und daraus Zitate sammelten, die als Argumentationshilfe im Sinne der Reformation dienen konnten. Spalatin schließt den Brief an seinen Freund Pistorius mit einem Gruß an dessen Frau Hanna. Er verbindet dies mit einem Lob und einer Deutung ihres hebräischen Namens, der „Gnade“ („Begnadete“) bedeutet.

Verfasser: Marcel Schneider

Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,24(1) (zum Digitalisat).

Edition der Quelle: Nicht nachgewiesen.

Literatur: Das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Handschrift finden Sie in der Datenbank Kalliope - dem zentralen Nachweisinstrument für Handschriften, Autographe und Nachlässe.